Weder das Bundesamt für Statistik (BFS), noch der Spital- oder Ärzteverband haben aktuelle Daten zu den Löhnen der obersten Schweizer Spitalärzte. Der Vergütungsexperte Urs Klingler hat deshalb exklusiv für die «Rundschau» Hochrechnungen zum Einkommen der Chef- und Belegärzte erstellt.
Klingler, der sich seit fünf Jahren mit Lohnmodellen von Spitälern beschäftigt, hat mit Daten von 174 Schweizer Spitälern die Jahreseinkommen der Schweizer Chef- und Belegärzten hochgerechnet. Es sind die wohl umfassendsten Hochrechnungen zu Chefarztlöhnen, welche für die Öffentlichkeit zugänglich sind.
Klingler sagt, der Grossteil der Schweizer Chef- und Belegärzte verdiene zwischen 350’000 und 1,5 Millionen Franken pro Jahr. Mehr noch: «Jeder vierte Chef- oder Belegarzt aus den untersuchten Spitälern verdient mehr als 1,5 Millionen. Es geht hier bis 2,5 Millionen.»
Die von Klingler verwendeten Daten stammen hauptsächlich aus einem öffentlich zugänglichen Datensatz des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aus dem Jahr 2015 und enthalten sämtliche Lohnbestandteile Brutto.
Je nach Vertrag verdient der Arzt extra
Laut Klinger schenken vor allem die variablen Lohnbestandteile ein. So zum Beispiel, dass in vielen Spitälern der Chefarzt Honorare erhalte. «Je nach Vertrag ist er direkt am Umsatz beteiligt. Jede medizinische Leistung oder eingesetzte Zeit erhöht seinen Lohn.»
Auch die Möglichkeit, seine Privat-Patienten selbst abzurechnen, sei von Bedeutung, sagt Klingler. Ausserdem könne ein Chefarzt je nach Vertrag auch extern dazuverdienen. «Manch einer betreibt eine eigene Praxis im oder neben dem Spital oder arbeitet noch Teilzeit als Belegarzt in einem anderen Spital.»
Der Gesundheitsökonom Heinz Locher checkt die Rechenmethode, die Klingler anwendet, und stützt dessen Erhebung. «Für mich ist das, was Klingler rechnet, sehr plausibel», bestätigt Locher.
Den grössten Teil bezahlt die Grundversicherung.
Locher sagt, dass diese hohen Einkommen wohl durch einen Fehler im heutigen System zustande kämen. Denn dieses «verlockt Ärzte dazu, dass sie unnötige Leistungen machen, im Zweifelsfall operieren anstatt konservativ zu handeln.» Dies, weil das grosse Geld locke. Je mehr ein Arzt operiere, desto mehr könnte er verdienen.
Das belaste die Grundversicherung. «Den grössten Teil der Kosten einer stationären Operation – auch der unnötigen – bezahlt immer die Grundversicherung. Wir sind also alle betroffen, sei das als Prämien- oder als Steuerzahler.»
Berset will Diskussion
Den Rest einer medizinisch notwendigen Operation im stationären Bereich bezahlen die Kantone – also wiederum die Allgemeinheit. Die Zusatzversicherung von halbprivat oder privat versicherten Patienten – auch an Privatspitälern – kommt für Zusatzleistungen wie grössere Zimmer oder besseres Essen auf.
Das Thema Chefarzt-Löhne ist besonders brisant, weil Gesundheitsminister Alain Berset (SP) die explodierenden Gesundheitskosten intensiv im Auge hat.
Die Ärzte zeigen ihre Löhne nicht, sie sagen einfach, man dürfe die Löhne nicht antasten.
Berset sagt, er habe auch von Ärzten gehört, die über eine Million aus der Grundversicherung verdienten. «Wir haben heute keine Transparenz. Die Ärzte zeigen ihre Löhne nicht, sie sagen einfach man dürfe die Löhne nicht antasten. Ich glaube darüber muss man diskutieren.»
Lösungen sind gefragt
Berset liess letztes Jahr von einer Expertengruppe einen Bericht erstellen, der aufzeigen soll, wie man die Kosten im Gesundheitssystem dämpfen könnte. Unter anderem wird vorgeschlagen, Kantone sollen lohnbezogene Anreizsysteme für Spital-Ärzte unterbinden.
Ökonom Locher, der den Bericht mitverfasste, ist in seiner Meinung absolut klar: «Spitäler, die solche Anreizsysteme haben, dürfen von den Kantonen nicht mehr auf die Spitalliste gelassen werden.» Der Verband Chefärzte und leitende Spitalärzte Schweiz wollte in der Rundschau keine Stellung zum Thema nehmen.
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