Vor einer Woche ging im Vatikan eine Konferenz zum Missbrauch in der katholischen Kirche zu Ende. Opfer wurden keine angehört. Aber nach jahrelangem Warten hat der Papst heute zum ersten Mal eine Gruppe von Schweizer Missbrauchsopfern in einer Audienz empfangen.
Unter ihnen Agnes Würgler und Mario Delfino, die Opfer von sexuellen Übergriffen wurden. «Der Papst hat sich entschuldigt. Und ich hoffe, dass er jetzt etwas unternimmt», sagt Agnes Würgler (74).
Zur Strafe zum Priester aufs Zimmer
Zusammen mit ihren beiden Brüdern wuchs sie in den 1950er Jahren in einem Heim in Malters (LU) auf, das von Ordensfrauen geführt wurde. «Sie haben uns täglich geschlagen. Man wusste manchmal gar nicht, warum. Wir wurden eingesperrt und sind die ganze Nacht auf dem kalten Boden gelegen. Es war einfach schlimm und Horror», erzählt Agnes Würgler.
Es wurde aber noch schlimmer, wenn sie zur Strafe zum Priester geschickt wurden: «Der Priester hatte bei uns im Heim ein Zimmer. Er hat uns sexuell missbraucht, vor allem meine zwei Brüder. Auch ich musste in das Zimmer und hatte nachher jahrelang Probleme. Meine Brüder haben sich später das Leben genommen, weil sie damit nicht mehr fertig wurden.»
Diese Erlebnisse erzählte Agnes Würgler Papst Franziskus und gab ihm einen Ratschlag: «Er muss etwas machen, damit das nicht mehr geschieht und dass die Priester vielleicht heiraten dürfen. Das wäre doch auch eine Lösung.»
Missbraucht in der Erziehungsanstalt
Beim Papst war auch Mario Delfino (62). Er ist ebenfalls ein Opfer von sexuellem Missbrauch. «Der Papst hat sich entschuldigt – das war für mich das Wichtigste. Es ist eine ganz schlimme Zeit gewesen und er hat sich mit guten, lieben Worten für uns eingesetzt und uns gesagt, dass er jederzeit für uns da ist», sagt Mario Delfino nach der Audienz.
Der Vollwaise wurde in einer Erziehungsanstalt in Knutwil (LU) platziert, die von Ordensbrüdern geführt wurde. Er wurde in den 1960er Jahren schwer misshandelt und sexuell missbraucht.
Auch Mario Delfino hat dem Papst davon berichtet: «Ich bin wirklich sehr dankbar, dass der oberste Kirchenführer uns angehört und angeschaut hat, dass wir jetzt sichtbar sind.»
Sichtbar sein und Zeugnis über das Erlittene ablegen, auch um zu verhindern, dass solches wieder geschieht. «Die Kontrollsysteme sind nicht so gut. Ich glaube, der Papst wird eine sehr grosse Arbeit haben mit seinen Leuten, um das ausmerzen zu können», sagt Delfino.
Der Papst habe ihnen immerhin versprochen, jedem Missbrauchsfall nachzugehen und der staatlichen Justiz zu überführen. Diese Aussage hat den beiden Opfern Mut gemacht. Trotzdem merkt man Mario Delfino und Agnes Würgler an, dass es ihnen schwerfällt, darüber zu sprechen: «Es war wirklich die Hölle, sehr schlimm. Das werde ich mittragen, mein Leben lang. Es geht mir zwar gut, aber es kommt immer wieder hoch und man kann das nicht wieder gut machen.»
Für diese besondere Papst-Audienz gekämpft hatte Guido Fluri, Unternehmer und Initiator der Wiedergutmachungs-Initiative. «Diese Missbräuche, die enden nie. Die Geschichte wird ewig in diesen Menschen drinbleiben. Man muss jetzt die Aufarbeitung vorantreiben, die beginnt erst jetzt. Ganz entscheidend ist, was Papst Franziskus gesagt hat, in erster Linie die Nulltoleranz. Er hat klar bekräftigt, dass diese monströsen Täter weltlichen Gerichten zugeführt werden, dass hat er auch so bezeichnet, damit die Gesellschaft geschützt werden kann.»