«Opfer von Gewaltverbrechen leiden oft jahrzehntelang unter den erlittenen Traumata», sagt Claudia Christen-Schneider, «das Schweizer Strafrecht bietet den Opfern von Verbrechen einfach zu wenig Hilfe.»
Claudia Christen-Schneider, selbst Opfer einer Gewalttat, arbeitete fünf Jahre in chilenischen Gefängnissen mit Opfern und Tätern zusammen. Bei ihrer Arbeit wendet sie die sogenannte restaurative Justiz an. Gewalttäter werden mit Opfern konfrontiert, Opfer können dadurch die Taten verarbeiten. Die Täter lernen zu ihren Taten zu stehen und sich in die Opfer einzufühlen.
Erstes Schweizer Pilotprojekt in Lenzburg
«Der Erfolg ist eindeutig», sagt Marcel Ruf, Gefängnisdirektor der Strafanstalt Lenzburg, «die Opfer sagen, dass ihnen diese Gegenüberstellung hilft.» Endlich könne die Justiz den Opfern etwas zurückgeben, was sonst praktisch nicht möglich sei. Acht Wochen lang werden jeweils am Dienstagabend Täter mit Opfern konfrontiert, danach wird Bilanz gezogen.
Die ehemalige Postmitarbeiterin Elsbeth Gubler wurde vor der Jahrtausendwende bei der Arbeit von Serienräuber Rudolf Szabo überfallen und mit einer geladenen Waffe bedroht. 19 Jahre lang litt sie unter dem Trauma – dann konfrontierte sie den Täter, der mittlerweile seine Strafe abgesessen hatte. «Ich konnte abschliessen und heilen, quälenden Fragen des ‹Warums› konnte ich beantworten», sagt Gubler.
«Es braucht flächendeckende Strukturen»
Heute arbeitet Elsbeth Gubler mit Rudolf Szabo zusammen. Unter der Anleitung von Projektleiterin Claudia Christen-Schneider erzählen die beiden in der Strafanstalt Lenzburg ihre Geschichten. Anwesend sind Täter und Gewaltopfer. «Es fliessen Tränen auf beiden Seiten» sagt Christen-Schneider. «Diese Verarbeitungsprozesse helfen beiden Seiten – vor allem aber den Opfern. Ferner zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass die Rückfallquoten von Gewalttätern sinken.»
Benjamin Brägger, Direktor des Instituts für Schweizerische Strafvollzugswissenschaften, findet die restaurative Justiz hilfreich. «Es braucht flächendeckende Strukturen, um solche Programme sinnvoll umzusetzen.» Hinzu kommt: «Das Schweizer Strafrecht ist auf die Bestrafung des Täters ausgerichtet. Es geht darum den Täter zu finden, die Tat zu beweisen und dann den Täter der gerechten Strafe zuzuführen.» Das Opfer ist im Schweizer Strafrecht nicht vorgesehen. Die Rechte der Opfer bei Straftaten seien in den vergangenen Jahren aber stark ausgebaut worden.