Zwei junge Schweizerinnen aus der Region Biel/Bienne haben sich dem selbst ernannten Islamischen Staat (IS) in Syrien angeschlossen. Beide standen vor der Ausreise in Kontakt mit dem Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS), wie «10vor10» berichtet.
Bei der ersten Frau handelt es sich um eine heute 23-Jährige aus einer in Nidau wohnhaften tunesischen Familie. Die Tochter wurde von der Gemeinde 2011 eingebürgert. Sie absolvierte nach der obligatorischen Schule die Handelsmittelschule in La Neuveville.
Eine Schulkollegin aus jener Zeit hatte bei ihr einen Wandel während der dreijährigen Schulzeit festgestellt. Sie habe sich zunehmend isoliert. Auch ihr Verhalten habe sich verändert. So habe sie früher Männern die Hand geschüttelt, aber zuletzt nicht mehr.
Nach der Handelsmittelschule traf die Frau in Bern mehrmals Ferah Ulucay, die heutige Generalsekretärin des IZRS. Ulucay sagt, sie habe auf dem Handy der Frau das vom IS als sein Logo beanspruchte Siegel gesehen – und sie darauf angesprochen. Sie habe sie von der Sympathie zum IS abzubringen versucht, erklärt Ulucay.
«Sie hat mir das Gefühl gegeben, als hätte sie meine Argumentation, die auch islamisch belegt war, verstanden. Sie hat hier [in der Schweiz] ein Praktikum gemacht und sprach von einer Weiterbildung. Und auch deshalb war es für mich wahnsinnig überraschend, dass sie nachher wegging. Sie hat ein Spiel gespielt, das man nicht hätte durchschauen können», so Ulucay.
Konvertitin war Freundin einer IZRS-Kaderfrau
Die zweite Frau stammt aus einer Schweizer Familie, konvertierte zum Islam und engagierte sich aktiv im IZRS. Fotos zeigen sie 2013 an einer Aktion des IZRS gegen das Verhüllungsverbot im Tessin. Ulucay vom IZRS bezeichnet die Frau als ehemalige Freundin und betont: Der IZRS habe die Frau nicht radikalisiert, von ihrer Ausreise habe sie nichts gewusst. Sie sehe die Frau als Opfer der IS-Propaganda und der Islam-Feindlichkeit in der Schweiz, sagt Ulucay.
In Biel war die Konvertitin verheiratet. Ihr Mann blieb in der Schweiz, er wusste offenbar nichts von den Plänen seiner Frau. Freundinnen sagte die heutige 35-Jährige, sie fahre für ein Hilfsprojekt nach Afrika. Treibende Kraft der Reise nach Syrien war wohl die über zehn Jahre jüngere gebürtige Tunesierin.
Beide Frauen verkehrten auch in der Ar’Rahman-Moschee in Biel, die seit den Recherchen der «Rundschau» über den Iman Abu Ramadan schweizweit bekannt ist. Im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» sagte Ramadan, einer der beiden Frauen sei die Moschee zu wenig radikal gewesen – und meinte wohl die gebürtige Tunesierin.
Bundesanwaltschaft hat Strafverfahren eröffnet
Gegen die zwei Frauen hat die Bundesanwaltschaft (BA) ein Strafverfahren eröffnet, wie die BA auf Anfrage von «10vor10» bestätigte. Dies wegen des Verdachts der Beteiligung an bzw. der Unterstützung einer kriminellen Organisation (Art. 260ter StGB).
Das Verfahren ist derzeit sistiert. Der wahrscheinliche Grund dafür ist wohl, weil die beiden Frauen sich noch immer im Ausland befinden und weitere Ermittlungen nicht möglich sind.
Das genaue Schicksal der Frauen ist nicht restlos geklärt. Höchstwahrscheinlich befinden sie sich noch in der syrischen Stadt Rakka, einst die inoffizielle Hauptstadt des IS in Syrien. Gegen die Hochburg läuft derzeit eine Militäroffensive von Kurden geführten Truppen mit Luftunterstützung der Anti-IS-Koalition unter Führung der USA. Angeblich haben die Truppen zwei Drittel der Stadt eingenommen. Sie befinden sich nach kurdischen Angaben in der Altstadt.