In der Stadtmission Winterthur machen vier Frauen vom Verein Anora Geschenke bereit. Kleine Säckchen mit Salben, Kosmetikartikel und Gebäck. Diese verteilen sie dann an die Sexarbeiterinnen. Jeden zweiten Dienstagabend treffen sich die Frauen vom Verein Anora und machen sich in Zweiergruppen auf den Weg in verschiedene Bordelle in Winterthur.
«Wir gehen an die Orte, die wir mit den Frauen vorher vereinbart haben: in die Küche, in ihr Zimmer oder an die Bar», sagt Sonja Studler, die Präsidentin des Vereins. In welche Richtung die Gespräche dann laufen, das würden die Sexarbeiterinnen selber entscheiden. Nur so könne man ein Vertrauensverhältnis aufbauen.
Anora und zwei weitere Vereine, ebenfalls mit christlichem Hintergrund, werden vom Kanton Zürich finanziell unterstützt. Sie sollen Frauen einen Weg aus der Prostitution ebnen und ihnen den Umstieg in einen anderen Job ermöglichen: mit Sprachkursen, Hilfe bei Bewerbungen oder Arbeitsmöglichkeiten.
«Wir wollen niemanden bekehren»
Oberstes Ziel sei es, mit dieser aufsuchenden Sozialarbeit, den Frauen in den Bordellen eine Freude zu bereiten. Bekehren wolle sie niemanden, versichert Sonja Studler. Sie dränge keine Frau zu einem Ausstieg aus der Prostitution. Doch wenn sie und ihre Kolleginnen spürten, dass eine Frau den Wunsch eines Ausstiegs selbst äussert, möchten sie diese begleiten.
«Es sind Elemente, die bei jeder beruflichen Integration helfen - schnell Deutsch lernen und ein soziales Netz aufbauen», erklärt Studler. Mit dem Geld vom Kanton will Anora in Winterthur deshalb ein Netzwerk aufbauen: «Mit Organisationen, die mit der beruflichen Integration bereits viel Erfahrung haben oder mit Firmen, die eine gewisse Offenheit haben, Sex-Arbeiterinnen einzustellen.»
Frauen aus der Prostitution «befreien»?
Der Kanton Zürich will mit diesem Pilotprojekt herausfinden, was es braucht und wie es am besten gelingt, Frauen den Ausstieg aus der Prostitution zu ermöglichen. Oder wie es der Kanton selber schreibt: Frauen zu unterstützen, die sich aus der Prostitution «befreien» möchten. Diese Terminologie sowie der Fakt, dass ausschliesslich Vereine mit christlichem Hintergrund staatliche Unterstützung erhalten, stösst nicht nur auf Verständnis.
«Wir sprechen eher von Neuorientierung, statt von Ausstieg», sagt Lelia Hunziker von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration. «Ausstieg suggeriert, dass Prostitution menschenunwürdig ist und sich die Frauen dafür schämen müssen.»
Ausstieg suggeriert, dass Prostitution menschenunwürdig ist und sich die Frauen dafür schämen müssen.
Wenn aber eine Frau nicht länger in der Prostitution arbeiten möchte und sich eine andere Tätigkeit sucht, brauche es eine professionelle Begleitung – und eine langfristige, damit sich die Situation für diese Frau auch tatsächlich verbessere, ist Lelia Hunziker überzeugt: «Denn sehr häufig landen die Frauen wieder in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen – sie arbeiten zu einem schlechten Lohn oder auf Abruf.» Es sei deshalb wichtig, die Frauen auch nach dem Ausstieg aus der Sex-Arbeit zu begleiten.