Statt Autos rollen morgen Mittwoch Kampfjets über die A1 - eine absolut einmalige Angelegenheit? Nein – zeigt unser Blick in die Vergangenheit.
Wer zwischen Oensingen und Härkingen auf der A1 durchs Schweizer Mittelland fährt, wähnt sich auf einer ganz normalen Autobahn. Der Blick aus der Vogelperspektive verrät jedoch: Die Strecke verläuft auf einer Länge von zwei Kilometern schnurgerade. Zu gerade für die sonst kurvenverwöhnte Schweiz. Und es fällt auf: Der Mittelstreifen ist nicht begrünt, sondern asphaltiert. Es ist ein Relikt aus der Hochphase des Kalten Kriegs.
Genau hier, westlich der Brücke zwischen Oensingen und Kestenholz, landeten am 16. September 1970 erstmals Kampfjets der Schweizer Luftwaffe auf einer Autobahn.
13 reguläre Pisten und sieben Notlandeoptionen
Für die gross angelegte Übung unter dem Decknamen «Strada» wurde die damalige N1 komplett gesperrt. Zum Einsatz kamen Flugzeuge des Typs Venom. Die Übung wurde als grosser Erfolg verbucht und war Vorbild für alle späteren Autobahnlandungen.
Überhaupt notwendig wurden solche Übungen durch die damalige Bedrohungslage. Ein Atomkrieg galt als realistisches Szenario. Die Flugzeuge standen zwar geschützt in Bunkern und Felskavernen, die Flugplätze jedoch wären ein leichtes und äusserst verwundbares Ziel gewesen. Wären diese zerstört worden, hätten die rund 350 Flugzeuge der damals stolzen Schweizer Luftwaffe nicht mehr abheben können.
Die Schweizer Militärhistorikerin Lea Moliterni rechnet vor: «Man hatte nur 13 Pisten. Wenn eine ausfällt, sind bei 350 Kampfjets 26 Flieger einfach verloren.»
Eine Idee aus dem Zweiten Weltkrieg
Um einen möglichen Teilausfall der Luftwaffe zu verhindern, griff die Armee auf eine Idee aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Als 1944 immer mehr reguläre Flugplätze der Wehrmacht zerstört wurden, baute man geeignete Autobahnabschnitte zu Landebahnen um. Im Kalten Krieg nutzten zahlreiche Länder ihre Autobahnen als Notlandepisten.
Im engen und kurvigen Schweizer Strassennetz war eine solche Nutzung erst mit dem Beginn des Autobahnbaus in den 60er-Jahren möglich. Dafür arbeitete das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) eng mit den kantonalen Nationalstrassenbüros zusammen. Als Anreiz beteiligte sich die Armee mit 50 Prozent an den Baukosten der betroffenen Streckenabschnitte.
Hohe Anforderungen an Strassenabschnitt und an Piloten
Bis 1990 wurden insgesamt sieben Notlandepisten gebaut. Die Anforderungen an die betroffenen Streckenabschnitte waren hoch: Sie mussten möglichst gerade und eben sein. Es brauchte genügend Zu- und Wegfahrten. Und in den Anflugsektoren durften sich keine Hindernisse befinden. Hochspannungsleitungen wären im Kriegsfall abgehängt und Bäume gefällt worden. Da zwischen den Fahrbahnen keine festen Leitplanken gebaut werden konnten, konstruierte die ETH eine Spannkonstruktion mit Stahlseilen.
Nach dem ersten Test 1970 in Oensingen folgten insgesamt neun weitere Übungen in der ganzen Schweiz. Eigentlich waren diese geheim, dennoch versammelten sich jeweils zahlreiche Schaulustige an den Strassenrändern. In Münsingen bei Bern landeten 1974 erstmals Hunter-Kampfflugzeuge auf der Strasse. Später folgten Tiger.
Das vorläufige Ende der Notlandungen
Letztmals verkehrten 1991 Jets auf Schweizer Autobahnen. Obwohl das Konzept mit der Armeereform 95 aufgegeben wurde, entstand Mitte der 90er-Jahre eine weitere Autobahnpiste. Und zwar parallel zum Militärflugplatz Payerne mit direktem Rollweg vom Hangar zur Strasse. Auf diesem Streckenabschnitt zwischen Payerne und Avenches soll nun die neue Übung stattfinden. Wie stark dabei die Auswirkungen auf den Verkehr sein werden, wird sich zeigen.
In Oensingen jedenfalls wäre eine vollständige Sperrung heute wohl undenkbar. Gemäss Bundesamt für Verkehr hätte es ein «veritables Verkehrschaos zur Folge». Nach einem ersten Versuch 1970 wurden auf der Strecke dann auch nie wieder Jets eingesetzt.