Wochenende, mitten in einem beschaulichen Familienquartier im basellandschaftlichen Aesch. Fünf Frauen und sieben Männer treffen sich zum «Retreat der Inneren Entwicklung». Im Zentrum steht die Einnahme der halluzinogenen Droge Ayahuasca und weiteren psychedelischen Substanzen aus dem Amazonas.
Organisiert wird das Retreat von der Firma Inner Mastery International, es findet jede zweite Woche statt. Die Sektenberatungsstelle Relinfo bezeichnet Inner Mastery International als problematische Gruppierung mit sektenähnlichen Strukturen.
Philippe Stalder, Reporter bei SRF Investigativ, ist einer der teilnehmenden Männer. Er erhielt auf Instagram eine Werbung und meldete sich daraufhin für das Retreat in Aesch (BL) an.
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Kosten pro Nacht inklusive Ayahuasca, Essen und Übernachtung im Massenlager: 250 Franken.
Geld fliesst direkt nach Spanien
Den Betrag musste der Reporter im Voraus auf ein Konto in Spanien einzahlen, wo die Firma ihren Hauptsitz hat. Mit versteckter Kamera dokumentiert Stalder seinen Besuch in der Ayahuasca-Gemeinschaft.
Der Reporter gibt sich als unentschlossener Teilnehmer aus und wird als einziger Besucher an diesem Abend kein Ayahuasca konsumieren. Beim Einchecken machte sich einer der Organisatoren darüber lustig: «Wie, du willst heute noch kein Ayahuasca zu dir nehmen? Wenn wir warten, bis du dich bereit fühlst, werden wir noch lange hier sein!»
Als der Organisator realisiert, dass Stalder für das Ayahuasca auch bezahlt, wenn er es nicht konsumiert, lässt er nach: «Schau dir heute mal in Ruhe die Zeremonie an, und dann kannst du morgen ja immer noch eine zweite Nacht hinzubuchen.»
Inner Mastery International bietet ihre Ayahuasca-Retreats in rund 20 Ländern an. Seit Frühling dieses Jahres sind sie in Aesch in einem luxuriösen Einfamilienhaus eingemietet, meterhohe Hecken garantieren Sichtschutz vor der Aussenwelt. Neben dem Haus in Aesch betreibt die Firma in der Schweiz noch ein weiteres Haus in Bex (VD).
Psychedelische Drogen aus dem Amazonas
Das Geschäftsmodell von Inner Mastery International ist ausgeklügelt – und teilweise illegal: Für jeden zusätzlichen Shot Ayahuasca muss extra bezahlt werden, er kostet um die 100 Franken.
Doch Ayahuasca ist nicht die einzige Amazonas-Droge, die in den Retreats gewerbsmässig vertrieben wird. Im Angebot stehen zur optionalen Anwendung zudem:
- Kambo (Hautsekret des Riesenmakifrosches, enthält Opioidpeptide)
- Bufo (halluzinogenes Sekret der Coloradokröte, enthält Bufotenin und 5-MeO-DMT)
- San Pedro (meskalinhaltiger Kaktus mit stark psychedelischer Wirkung)
Die Konsumationszeiten der einzelnen Drogen sind streng durchgetaktet, im Essraum erläutert ein Schild den Tagesablauf:
- 9 Uhr: Kambo
- 9:30 Uhr: Frühstück
- 11 Uhr: Bewusste Integration der Ayahuasca-Session vom Vorabend
- 14 Uhr: Bufo
- 15 Uhr: Mittagessen
- 16 Uhr: San Pedro
- 18 Uhr: Anmeldung der Neuankömmlinge
- 19 Uhr: Abendessen
- 22 Uhr: Ayahuasca-Session
Für jede Substanz wird ein Aufpreis von rund 100 Franken verrechnet, ein Shot Ayahuasca ist im Tagespreis von 250 Franken mit dabei. Inner Mastery empfiehlt, «für eine tiefgreifende Erfahrung» gleich drei Nächte zu buchen.
Nimmt ein Gast zusätzlich zum Ayahuasca noch zwei, drei weitere Substanzen zu sich, belaufen sich die Kosten für ein Retreat pro Kopf schnell auf 1000 Franken. Bei rund 10 bis 15 Gästen pro Wochenende ein gutes Geschäft.
Nur: Ayahuasca befindet sich in einer rechtlichen Grauzone: Der enthaltene Wirkstoff DMT ist in der Schweiz verboten, die Pflanze an sich nicht. Bufo sowie San Pedro fallen in der Schweiz unter das Betäubungsmittelgesetz und sind somit illegal.
Wie die Polizei Basel-Landschaft auf Anfrage erklärt, hat sie im Zusammenhang mit dem Haus in Aesch bisher noch keine Kenntnisse von mutmasslichen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Polizei nehme solche Hinweise grundsätzlich entgegen und überprüfe diese.
Retreats werden genutzt, um Mitglieder zu rekrutieren
Wie Recherchen von SRF Investigativ zeigen, ist der gewerbsmässige Vertrieb illegaler Amazonas-Drogen jedoch nur ein Teil des Geschäftsmodells von Inner Mastery International.
Die Retreats werden insbesondere auch dazu genutzt, um Mitglieder für die Dachorganisation der Firma, Beyond-Inner, zu rekrutieren. Gründer und Kopf dieses Firmengeflechts ist Alberto José Varela.
Er bietet interessierten Retreat-Besuchenden die Möglichkeit, permanent in einem der über ganz Europa verteilten rund 15 Häuser der Organisation zu leben und zu arbeiten. Mitglieder müssen zunächst eine Anfangsgebühr von mindestens 1000 Franken bezahlen und erhalten dafür ein Guthaben von 1100 Inner Coins, einer internen digitalen Währung. Mitglieder müssen je nach Standort eine Monatsmiete zwischen 500 und 800 Franken bezahlen.
Ausserdem bietet die Organisation zahlreiche Kurse an. Das Angebot reicht von Kursen zur persönlichen Entwicklung bis hin zur Schamanen-Ausbildung, die Mitglieder befähigen soll, selbst Ayahuasca-Retreats an neuen Standorten anzubieten.
Die Kurskosten belaufen sich pro Tag schnell auf mehrere hundert Franken, einige davon sind für die Mitglieder sogar obligatorisch. Die Aussteiger, die mit SRF Investigativ gesprochen haben, kamen insgesamt auf monatliche Fixkosten von 1000 bis 2000 Franken.
Um diese zu decken, können Mitglieder innerhalb der Organisation eigenes Geld verdienen, indem sie entweder neue Besucher zu einem Besuch eines Retreats überzeugen und dafür zehn Prozent der Umsätze erhalten, die diese Personen generieren. Oder, indem sie für einen Stundenlohn von fünf Euro Hausarbeiten erledigen. Miet- oder Arbeitsverträge werden in der Regel keine ausgestellt.
Organisation droht SRF mit Anwälten
Mit dieser Masche macht Varela die Mitglieder finanziell von sich abhängig, denn um die teure Anfangsinvestition sowie die Miet- und Kurskosten zu amortisieren, werden sie lange Zeit für ihn arbeiten müssen.
SRF Investigativ bat Alberto José Varela mehrmals um ein Interview. Doch der Guru liess sämtliche Fragen von SRF Investigativ bis heute unbeantwortet. Dafür drohte die Organisation SRF mit ihren Anwälten.
Wer dagegen mit SRF Investigativ gesprochen hat, sind Betroffene und Expertinnen. Was sagen sie über die Organisation? Wählen Sie aus, welche Perspektive Sie interessiert!
Der indigene Schamane
Taita Juan stammt aus der indigenen Gemeinschaft Putumayos im kolumbianischen Amazonas. Er arbeitet seit über 30 Jahren als Schamane mit verschiedenen Naturheilmitteln, unter anderem auch Ayahuasca.
Er hält Inner Mastery International für sehr gefährlich und distanziert sich von der Art und Weise, wie die Organisation Ayahuasca anwendet: «Die Wirkung von Ayahuasca ist sehr intensiv und kann zu einer starken psychischen Desorientierung führen, wenn die Begleiter nicht wissen, wie man mit dieser Kraft umgehen soll.»
Um den richtigen Umgang zu erlernen, brauche es mindestens 15-20 Jahre Erfahrung, so Juan.
Inner Mastery International bietet ihren Mitgliedern für viel Geld jedoch Kurse an, die sie in nur zwei Monaten dazu befähigen sollen, Ayahuasca an Retreat-Besucher zu verabreichen. «Für diese Organisation ist Ayahuasca bloss ein Spiel», so Taita Juan.
Ähnlich wie die Spanier unser Gold ausbeuteten, beutet er nun eine andere Ressource unseres Landes aus.
«Alberto Varela kam vor vielen Jahren zu uns in den Dschungel.» Er sei auf gastfreundliche und offene Menschen getroffen, die ihm gezeigt hätten, wie Ayahuasca funktioniere. Doch hätten sie Varelas Absichten nicht gekannt. «Herr Varela ist sehr gerissen. Er sah eine Geschäftsidee und hat sie genutzt», sagt Taita Juan.
«Ähnlich wie die Spanier unser Gold ausbeuteten, beutet er nun eine andere Ressource unseres Landes aus. Er kommerzialisiert und vermarktet Ayahuasca nach allen Regeln der Kunst. Für uns ist das ein grosses Problem, denn er verwässert damit die Praktiken der echten Schamanen und führt Ayahuasca im Westen in ein schlechtes Licht.» Taita Juan bezeichnet dieses Vorgehen als kulturelle Aneignung.
Der Aussteiger
Markus Lövkvist lebte während eines Jahres in vier Standorten der Gruppierung in Italien und Spanien. Er beschreibt ein System, das als pyramidenähnlich bezeichnet werden kann: «Wenn du als Mitglied des Beyond Inner-Clubs jemanden zu einem Retreat-Besuch überzeugen kannst, verdienst du 10 Prozent an dessen Umsatz.»
«Um meine Monatskosten von rund 1000 Euro für Miete, Ayahuasca-Zeremonien und Kurse zu decken, hätte ich jeden Monat 20 Leute davon überzeugen müssen, 500 Euro in der Gemeinschaft auszugeben. Da ich ein ausgesprochen schlechter Verkäufer war, habe ich das nie geschafft und musste jeden Monat auf mein Erspartes zurückgreifen. Nach einem Jahr war mein Konto von 10’000 Euro auf 550 geschrumpft. Danach konnte ich mir diesen Lifestyle nicht mehr leisten und ich bin ausgestiegen.»
Nach einem Jahr war mein Konto von 10’000 Euro auf 550 geschrumpft.
Bevor Lövkvist in die Gemeinschaft einzog, stellte er sich ein entspanntes Leben in einer Hippie-Kommune vor, so wie man es ihm während seines ersten Retreats vorgegaukelt hatte.
Als er dann effektiv dort lebte, staunte er nicht schlecht, dass sämtliche Mitglieder wie in einem Callcenter den ganzen Tag vor einem Bildschirm sassen und Telefonakquise betrieben.
Die Sektenexpertin
Asia Petrino arbeitet als Beraterin für die Sekteninformationsstelle Relinfo. Die Religionswissenschafterin hat für SRF die Methoden und Strukturen von Inner Mastery International genau analysiert.
Die Firma weise sektenähnliche Strukturen auf. Umgangssprachlich könne man die Organistion also auch als Sekte bezeichnen, so Petrino. Die Gemeinschaft erfülle 18 von insgesamt 26 Kriterien, mit denen Relinfo arbeitet, um problematische Gruppierungen mit sektenähnlichen Strukturen zu identifizieren.
Auch die Rolle des Gründers der Organisation, Alberto Varela, hat die Religionswissenschafterin analysiert. Ihr Urteil: Innerhalb der Gemeinschaft geniesse er sogenannten Führungskult.
«Er gilt als Leader und dies kann sehr gefährlich werden kann, weil dann die Tendenz besteht, dass die Mitglieder alles machen und befolgen, was er als Leader sagt und verlangt.»
Die grösste Gefahr bei dieser Gruppierung sei die finanzielle und soziale Abhängigkeit, sagt Petrino. Denn bereits ab dem Zeitpunkt der Anmeldung müsse man Geld in die Organisation einzahlen. Komme hinzu, dass die Organisation intern eine eigene Währung verwendet.
«Dies führt dazu, dass die finanzielle Abhängigkeit noch grösser wird, weil das Guthaben, über das man innerhalb der Gemeinschaft verfügt, nicht ausserhalb ausgeben werden kann.»
Zudem würden die Mitglieder ausschliesslich in den Gemeinschaften leben. Für die Kurse, die sie besuchen, müssen sie viel reisen. «Dies führt dazu, dass sie zwangsläufig wenig bis gar keinen Kontakt mehr zu Personen ausserhalb der Gemeinschaft pflegen.» Mitglieder würden so sozial isoliert.
Der Neurowissenschafter
Professor Gregor Hasler, Psychiater, Psychotherapeut und Neurowissenschafter an der Universität Fribourg, forscht unter anderem mit der psychedelischen Substanz LSD. Er untersucht deren therapeutisches Potential bei Menschen mit starken Depressionen, Suchtkrankheiten oder posttraumatischen Belastungsstörungen.
Ähnlich wie LSD, bewirke auch Ayahuasca im Hirn eine Ich-Auflösung. Man könne gut beobachten, wie das Ich im Hirn schwächer werde, so Hasler. Zeitgleich würden neue Verbindungen zwischen Hirnregionen entstehen, die normalerweise nicht miteinander kommunizierten. Das Hirn sei dann nicht mehr so hierarchisch strukturiert.
Anders als bei LSD sind die Nebenwirkungen von Ayahuasca weniger gut kalkulierbar: «Man weiss nie, wie viel der Substanzen jeweils in der Liane drin ist. Das kann dann zu unangenehmen körperlichen Folgen führen wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und erhöhtem Blutdruck.»
Problematisch sieht Hasler Ayahuasca-Zeremonien, die im Untergrund stattfinden. Anders als im klinischen Rahmen, wisse man nie genau, wie gut die Qualität der Substanzen sei und «bei negativen Folgen kann man sich auch nicht wehren, man ist weder rechtlich noch körperlich geschützt.»