Ausgiebig duschen – das gehörte zum Feierabend-Ritual vieler Arbeiterinnen und Arbeiter der chemischen Industrie in Basel. Man habe sich schrubben können, soviel man wollte, um die Pigmente der Farben vom Körper zu entfernen, erzählt Hans-Georg Heimann: «Nachts schwitzte man die Farbpigmente trotzdem aus den Poren.» Morgens sei sein Bett jedenfalls oft farbig gewesen.
Hans-Georg Heimann arbeitete fünf Jahre lang für die Basler Chemie - der «Chemischen», wie man in Basel sagte. Genauer in der Industriehalle 314 der ehemaligen Chemiefirma Ciba-Geigy. Dort standen früher grosse Farbkessel, denn die Basler Chemie produzierte bis in die 1990-er Jahre Textilfarben.
Jahre nachdem Heimann die Arbeit in der grossen Industriehalle an den Nagel gehängt hatte, ist er wieder dort: mit einer Ausstellung zur Geschichte der Basler chemischen Industrie, welche er zusammen mit Nicolas Schaffner konzipiert hat.
Die chemische Industrie habe das Leben vieler Baslerinnen und Basler geprägt, finden Heimann und Schaffner vom Verein «Industrie und Migrationsgeschichte». Für ihre Ausstellung haben sie deshalb mit mehr als 50 Arbeiterinnen und Arbeitern der ehemaligen chemischen Industrie geredet.
«Das Industriezeitalter war ein sehr wichtiger Teil von Basel und das wollen wir dokumentieren, solange das noch möglich ist», sagt Heimann. Die chemische Industrie prägte Basel und Umgebung etwa von 1860 bis in die 1980-er Jahre.
Verdingkind kommt wegen «Chemischer» in die Stadt
Eine der Protagonistinnen in der Ausstellung ist eine Frau, die als Verdingkind in der Ostschweiz auf einem Bauernhof gelebt hatte. Leute vom Landdienst, die auf den Bauernhof gekommen waren, hätten von «der Chemischen» in Basel geschwärmt, erzählt die Frau in einer Tonaufnahme in der Ausstellung. «Da habe ich gedacht; das wäre mal etwas anderes als immer bei den Bauern zu arbeiten.» Die Frau ging nach Basel und verdiente ihren Lebensunterhalt danach während 30 Jahren in der chemischen Industrie.
Da habe ich gedacht; die Chemische wäre mal etwas anderes als immer bei den Bauern zu arbeiten.
Zu hören ist auch eine ehemalige Migros-Verkäuferin, die auf der Suche nach einer Stelle war, bei der sie um 17 Uhr Feierabend machen konnte. Sie hatte nämlich ihre kleine Tochter zu betreuen. «Damals arbeitete man in der Chemischen bis um 17 Uhr.» Sie habe einen Mann gekannt, der für die chemische Industrie gearbeitet hatte und ihn wegen einer Stelle gefragt. «Zwei Tage später konnte ich mich vorstellen und dann bin ich sofort eingestellt worden, ohne eine Aufnahmeprüfung oder Ähnlichem», erzählt sie lachend.
Katastrophe von Schweizerhalle: Als der Rhein rot wurde
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Bild 1 von 5Legende: Kurz nach Mitternacht brach am 1. November 1986 in einer Lagerhalle der Chemiefirma Sandoz bei Schweizerhalle in der Nähe von Basel ein Grossbrand aus. Keystone/Silvio Mettler
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Bild 2 von 5Legende: Bereits auf dem Firmengelände sah man farbiges Löschwasser – der Farbpigmente der Chemie wegen. Das verschmutzte Wasser gelangte in den Rhein. Keystone/Michael Kupferschmidt
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Bild 3 von 5Legende: Da verschmutztes Löschwasser in den Rhein geriet, floss der Fluss rot gefärbt durch die Stadt. Die Fische starben. Keystone/Gardin
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Bild 4 von 5Legende: Nach dem Unfall wurde der Bevölkerung klar, dass von der «Chemischen» eine Gefahr ausgeht. Es kam zu zahlreichen Protesten. Keystone/Michael Kupferschmidt
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Bild 5 von 5Legende: Der Chemieunfall war nicht nur für Basel ein Schock: Im Dezember 1986 protestierten 60'000 Menschen in Basel und dem angrenzenden Ausland gegen die Basler Chemie mit einer Menschenkette. Keystone/Michael Kupferschmidt
«Heikles Thema» bisher kaum aufgearbeitet
Die Geschichte der chemischen Industrie habe Basel während rund 100 Jahren geprägt und auch Leute in die Stadt geholt, sagen die beiden Ausstellungsmacher. «Die bestehenden grossen Firmen Novartis und Roche haben ihre Geschichte und damit auch ihre eigene Darstellung der Geschichte», erklärt Heimann. «Wir bringen da etwas Exotisches rein.»
Die Ausstellung im Industriegelände ist vorerst für zwei Jahre finanziert. Heimann und Schaffner hoffen allerdings, dass sie mit ihrer Ausstellung derart überzeugen, dass sie zu einer Ausstellung ohne Ablaufdatum werden könnte.