Eigentlich ist Pierre-André Schütz pensioniert. Aber für den Ruhestand bleibt dem 67-jährigen reformierten Pfarrer keine Zeit. Vor einem Jahr hat er im Auftrag der Waadtländer Regierung das Amt des Bauernpfarrers übernommen. Er wurde umgehend von Anfragen überrannt «Man hat die Verzweiflung unter den Bauern völlig unterschätzt», sagt er.
Wie bloss Trost spenden?
Dabei ist Pfarrer Schütz nicht der Typ, der ohne Grund jammert. Er selbst kam mit sechs Jahren als Verdingbub auf einen Bauernhof. Erst mit 52 Jahren studierte er nach einer schweren Depression noch Theologie. Er sagt, als Bauer sei er wütend, dass die Landwirte heute im Stich gelassen würden. Und als Pfarrer wisse er kaum noch, wie er Trost spenden könne.
Die Verzweiflung sei riesig. Etwa, wenn die Bäuerin den Hof verlassen wolle, wenn sich bereits jemand das Leben genommen habe oder wenn der Bauer aus Angst vor der Zukunft nicht mehr die Kraft finde, morgens aufzustehen. Hinzu komme ein enormer finanzieller Druck, der auf den Bauern laste. Viele könnten kaum mehr von ihrer Arbeit leben. «Es ist schändlich, wenn die Gesellschaft jene, die sie ernähren nicht mehr bezahlt.»
Strukturwandel als Katastrophe
Bauernpfarrer Schütz kennt die Materie: Er rechnet vor, wie ruinös derzeit die Milchproduktion ist. Er kennt die internationalen Verträge, die die Bauern weiter unter Druck setzen. Und er sieht umgekehrt auch die Fehler von Bauern, die zu viele teure Maschinen anschaffen, oder von solchen, die nicht unternehmerisch denken.
Das alles ändert nichts daran, dass der Strukturwandel für die Betroffenen nicht einfach ein Wandel, sondern eine Katastrophe ist. Für einen Bauern sei es eine Demütigung, wenn er scheitere. Oft geht dabei das Erbe von Generationen verloren, weiss Schütz.
Wir können diese verzweifelten Menschen doch nicht sich selbst überlassen.
Die Serie von Suiziden unter den Waadtländer Bauern setzt Schütz zu. Wenn man einen Selbstmord nicht verhindern konnte, dann gerate man ins Grübeln, man werde selbst trübsinnig, sagt er. Hinzu komme das Phänomen, dass manchmal ein Depressiver plötzlich erleichtert wirke, scheinbar auf dem Weg zur Besserung sei. Dabei habe er bloss entschieden, wann, wo und wie er sich das Leben nehmen werde. Für die Familien sei das schrecklich.
Auch der Bauernpfarrer weiss, dass niemand alle retten kann. Er selber könne nur begleiten, zuhören und ein Netzwerk bereitstellen, sagt Schütz. Schwierig sei es auch, wenn jemand seine angebotene Hilfe nicht annehmen wolle. Das sei schwer zu akzeptieren.
Neues Netzwerk als Alarmsystem
Trotz Enttäuschungen und Rückschlägen ist Schütz überzeugt, dass es dringend mehr Helfer braucht: «Es ist zu viel! Wir können diese verzweifelten Menschen nicht sich selbst überlassen.»
Nun wird in der Waadt ein Netzwerk aufgebaut: Veterinäre, Kontrolleure und Vertreter der Landwirtschaftsgenossenschaften werden von Psychiatern des Unispitals geschult, damit sie Suizidgefährdete erkennen und Hilfe rufen. Schütz möchte, dass andere Kantone das System kopieren.
Für ihn steht nach einem Jahr als Bauernpfarrer fest: «Es ist dringend! Menschen sterben, weil man sie nicht unterstützt.» Und so werde das wahrscheinlich sein nächster Kampf: Dafür zu sorgen, dass auch andernorts Hilfe bereitgestellt wird. «Weil das Ausmass der Verzweiflung im Land unterschätzt wird.»