Seit Wochen protestieren europaweit Bäuerinnen und Bauern gegen die Agrarpolitik. Nun flackern auch erste Proteste in der Schweiz auf. Am Freitagabend fuhren Landwirtinnen und Landwirte mit ihren Traktoren in den Kantonen Bern und Freiburg auf. Gemäss den Organisatoren belief sich die Zahl der Gefährte auf insgesamt über tausend.
Verschiedene Gründe für Proteste
Es gebe verschiedene Gründe, weshalb die Proteste jetzt auch die Schweiz erreichen, sagt Robert Finger, der an der ETH Zürich zu Agrarpolitik forscht. «Einerseits ist die wirtschaftliche Situation für manche Betriebe schwierig, andererseits steigen die Anforderungen für die Landwirtschaft.» Finger nennt auch die laufende Diskussion um die Bundesgelder für die Agrarwirtschaft als Anstoss.
Einerseits ist die wirtschaftliche Situation für manche Betriebe schwierig, andererseits steigen die Anforderungen für die Landwirtschaft.
Viele Entwicklungen würden sich schon seit Jahren abzeichnen, so Finger. Hinzu komme die Protestwelle im Ausland. «In ganz Europa finden diese Proteste von Landwirtinnen und Landwirten statt, und das hat natürlich auch ein Momentum, das in die Schweiz transportiert wird.»
Die Kritik der Protestierenden hierzulande klingt ähnlich wie jene im EU-Ausland. «Ich bin heute hier, weil ich einen Betrieb habe, in dem ich ein 100-Prozent-Pensum leiste, aber noch auswärts arbeiten muss, um über die Runden zu kommen», sagt ein Mann, der sich dem Bauernprotest in Kerzers im Kanton Freiburg anschloss. «Der Zusammenhalt bringt uns weiter», sagt eine Frau.
Die Kundgebung in Kerzers habe einen Nerv getroffen, sagt Organisator Urs Haslebacher. Er weist auf vier Forderungen hin: «Wir brauchen Planungssicherheit für unsere Investitionen, Wertschätzung, Wertschöpfung und bessere Preise für unsere Produkte.»
Proteste nicht vergleichbar
Trotz ihrer Ähnlichkeit liessen sich die Proteste in der Schweiz nicht mit jenen im Ausland vergleichen, erklärt Agrarexperte Finger. «Die Schweizer Landwirtschaft operiert in einem Umfeld, wo die Anteile von Direktzahlungen und staatlichen Unterstützungen viel höher sind als in den Nachbarländern.» Neben den Direktzahlungen federe der Grenzschutz die Preise etwas ab und gebe so den Marktdruck nicht vollumfänglich weiter.
Die Schweizer Landwirtschaft ist zudem politisch besser vernetzt, etwa dank Parlamentsmitgliedern wie Bauernverbandspräsident Markus Ritter. Der Mitte-Nationalrat mahnt jedoch zur Vorsicht. «Wir sind nicht in Frankreich oder Deutschland. Wir wollen Aktionen haben, die auf Verständnis stossen.» Das hätten die Proteste aber gut gemacht.
Wir sind nicht in Frankreich oder Deutschland. Wir wollen Aktionen haben, die auf Verständnis stossen.
«Da ist sicher eine gewisse Vorsicht geboten», sagt auch SVP-Nationalrätin und Winzerin Katja Riem, die am Wochenende bei einem Protest dabei war. Man dürfe aber «nicht auf der faulen Haut hocken», die Politik müsse bei der Landwirtschaft vorwärtsmachen, so Riem.
Weckruf an Parlament und Grossverteiler
Grünen-Nationalrat Kilian Baumann unterstützt die Proteste als Präsident der Kleinbauern seit Beginn. Er interpretiert die Aktionen als «Weckruf an die bäuerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier», sich wieder stärker für die bäuerliche Basis einsetzen. Es sei aber auch «ein Weckruf an die, die die Preise mit den Grossverteilern aushandeln», so Baumann.
Die Organisatoren erhoffen sich von den Protesten mehr Solidarität. Doch viele Bauern und Bäuerinnen haben bewusst nicht teilgenommen. «Die grundsätzlichen Anliegen teilen ganz viele», sagt ETH-Professor Finger. «Gleichzeitig gibt es Unterschiede, wie man diese Anliegen nach vorne bringen will.» Er bezweifelt jedoch, dass mit den Bauernprotesten nun Schluss ist.