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Behindertenorganisation Millionendefizit bei Pro Infirmis

Eine weitere Nichtregierungsorganisation macht mit negativen Schlagzeilen von sich reden. Ein riesiges Defizit im letzten Jahr sowie mehrere Rücktritte unzufriedener Vorstandsmitglieder sorgen für Unruhe bei Pro Infirmis. Die Verantwortlichen sehen die Organisation dennoch auf Kurs.

Das Schweizerische Rote Kreuz ist nach der Trennung vom Direktor und dem Rücktritt der Präsidentin in Schieflage. Im Hilfswerk der evangelischen Kirche (HEKS) herrscht grosse Unzufriedenheit, und auch beim Schweizerischen Tierschutz rumort es.

Nun zeigen Recherchen von SRF Investigativ, dass auch die Behindertenorganisation Pro Infirmis mit gravierenden Problemen konfrontiert ist. Ihre Jahresrechnung schliesst mit einem Minus von 18 Millionen Franken. Die Hälfte des Verlusts, das Betriebsdefizit, sei budgetiert und bewilligt gewesen, sagt Fabienne Widmer, die Sprecherin von Pro Infirmis. 2021 war das Minus allerdings nur halb so hoch. Die andere Hälfte des letztjährigen 18-Millionen-Lochs wird mit Wertverlusten an den Finanzmärkten begründet.

Zu viele Aktivitäten

An die 100 Millionen Franken, die Pro Infirmis pro Jahr zur Verfügung stehen, steuert der Bund über das Bundesamt für Sozialversicherungen etwas mehr als die Hälfte bei. Dazu kommen Beiträge von Kantonen und Gemeinden. Das übrige Geld stammt von Spenden und Legaten. Auf diese ist die Organisation dringend angewiesen.

Das Defizit rühre daher, dass die Nachfrage an Dienstleistungen wie Beratungen und Begleitungen gestiegen sei und Pro Infirmis mehr Aufgaben erfüllt habe, als dies vorgesehen sei, hält Sprecherin Widmer fest. Die entstandenen Kosten seien nicht durch den Leistungsvertrag mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen gedeckt. Die Finanzen seien nicht aus dem Lot, es gebe für die nächsten zehn Jahre eine Planung, betont man bei Pro Infirmis.

Exodus aus dem Vorstand

Nicht nur die Finanzen machen Pro Infirmis zu schaffen, auch interne Querelen und Unstimmigkeiten haben in der Organisation grosse Unruhe verursacht. Zeichen dafür ist, dass der Vorstand seit mehreren Monaten nicht mehr beschlussfähig ist, weil laut Insidern letztes Jahr gleich vier Mitglieder zurückgetreten sind.

Aus Unmut über interne Vorgänge und den eingeschlagenen Weg in die Zukunft demissionierten die Unzufriedenen nach der ausserordentlichen Delegiertenversammlung vom vergangenen November, und die Vizepräsidentin ging Ende Jahr. So besteht das Gremium, dem nach Statuten ein Präsident oder eine Präsidentin und acht Mitglieder angehören, seit Monaten nur noch aus vier Mitgliedern. Um beschlussfähig zu sein, müssten fünf Mitglieder an einer Vorstandssitzung anwesend sein.

«Normal» in einem Verein

Rücktritte seien Teil eines «normalen Wandlungsprozesses» im Vereinswesen, sagt die Pro-Infirmis-Sprecherin. Sie bestätigt, dass der Vorstand seit Anfang Jahr nicht mehr beschlussfähig sei. Dies habe jedoch keine Folgen für das Alltagsgeschäft gezeitigt, betont Fabienne Widmer. Die Organisation durchlaufe derzeit eine «herausfordernde Phase der Weiterentwicklung und Transformation». So wolle sie den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung besser gerecht werden.

Pro Infirmis engagiert sich nach eigenen Angaben in der Schweiz für 1.7 Millionen Menschen mit Behinderung und die Angehörigen der Betroffenen. Die Organisation ist als Verein organisiert und hat 15 kantonale Untergruppen.

Zuversicht für Neubeginn

Auf den 23. Juni ist die Delegiertenversammlung von Pro Infirmis angesetzt. Dann soll der Vorstand wieder komplettiert werden. Und die Verantwortlichen wollen die Weichen stellen, um sich neu auszurichten und die Organisation wieder in ruhige Bahnen zu lenken. Pro Infirmis habe nun ausgezeichnete Kandidierende, die sich zur Wahl in den Vorstand zur Verfügung stellten, sagt Sprecherin Fabienne Widmer. Man sei deshalb zuversichtlich, dass der künftige Vorstand die bevorstehende Neuausrichtung gut vorantreiben könne.

HeuteMorgen, 09.06.2023, 06:00 Uhr

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