Im November 2016 war die Welt noch in Ordnung: Das Berner Kantonsparlament genehmigte rund 13.5 Millionen Franken, um bei der Kantonspolizei und der Staatsanwaltschaft mehrere Programme abzulösen. Mit einem innovativen Projekt, das es so in der Schweiz noch nicht gab, sollten die Abläufe zwischen der Kantonspolizei und der Staatsanwaltschaft durchgehend digitalisiert, optimiert und vereinheitlicht werden.
Fertig sollten die Zeiten sein, wo die Kantonspolizei die Akten zu ihren Fällen ausdruckt und die Berge von Papier der Staatsanwaltschaft übergibt. Von effizienteren und verlässlicheren Prozessen und auch tieferen Kosten war die Rede.
Dies die Theorie unter der damaligen Führung von Polizei- und Militärdirektor Hans-Jürg Käser und Polizeikommandant Stefan Blättler. Fünf Jahre später ist ersterer im Ruhestand, letzterer zum Bundesanwalt gewählt worden – und im Kanton Bern stellt sich rund um das IT-Vorzeigeprojekt Ernüchterung ein.
Recherchen von SRF zeigen: Das Projekt wird viel teurer als ursprünglich geplant. Die Preissteigerung beträgt mehr als 50 Prozent (Stand 2020). Zudem kommt das Projekt zwei Jahre später als erwartet, weil die Kantonspolizei, die Staatsanwaltschaft, aber auch die beauftragte Swisscom, mit einem derart komplexen Projekt überfordert waren. Um das Projekt überhaupt beenden zu können, hat die Entwicklerin kostenlose Zusatzstunden im Wert eines siebenstelligen Betrags geleistet.
Bis Ende 2019 hätte das sogenannte Projekt Nevo/Rialto bei der Berner Kantonspolizei und der Staatsanwaltschaft in Betrieb sein sollen. Jedoch: Erst vor zwei Wochen wurde die Software bei der Kantonspolizei tatsächlich in Betrieb genommen.
Auch ein Pilotprojekt mit Schwierigkeiten
Im Vorfeld musste die Einführung durch das Polizeikommando mehrfach verschoben werden. Auch ein Pilotprojekt, bei dem Polizistinnen und Polizisten die Software testeten, musste abgebrochen werden. Wie mehrere Quellen unabhängig voneinander berichten, war die millionenteure Vorzeigesoftware zu unausgereift und arbeitete unzuverlässig. Einer der Kritikpunkte soll sein, dass die Entwicklerin zu weit weg war von der Polizeiarbeit. Zudem kam es immer wieder zu Wechseln in der Projektleitung.
Um das System Ende März bei der Kantonspolizei überhaupt erst in Betrieb nehmen zu können, musste die Entwicklerin ihre Kräfte konzentrieren. Dies hat zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft nun erst 2023 mit Nevo/Rialto arbeiten kann.
Wer den Tätigkeitsbericht 2021 der Staatsanwaltschaft liest, wird den Eindruck nicht los, dass die kantonalen Behörden, aber auch die Swisscom, durch das Projekt ziemlich gefordert, wenn nicht sogar überfordert sind.
Bereits im März 2021 hat die Finanzkontrolle das Projekt unter die Lupe genommen. Bezüglich Termine, Kosten und Qualität soll Nevo/Rialto nicht den Erwartungen entsprechen. Zudem rechnet die Finanzkontrolle damit, dass auch die wiederkehrenden Betriebskosten höher als geplant ausfallen werden. Ein entsprechendes Gesuch des Regionaljournals Bern Freiburg Wallis von SRF, den Bericht der Finanzkontrolle einsehen zu können, wurde vergangene Woche abgelehnt.
Ein Problem bei diesem IT-Grossprojekt scheinen die unzähligen Schnittstellen zu sein. Wie die Staatsanwaltschaft ausführt, gab es bereits bei der Kantonspolizei Probleme damit, die Dokumentenvorlagen zu übernehmen. Bei der Staatsanwaltschaft sollen diese Vorlagen noch viel komplexer und zudem auch noch zweisprachig sein.