Ob aus dem Intercity-Zug oder vom Rosengarten aus: Wer auf die Berner «Skyline» mit Aare, Altstadt und Münster blickt, der muss sich in diesen Tagen kurz die Augen reiben. Denn die 400 Meter lange Kornhausbrücke ist auf der ganzen Länge mit weissen Plachen und einem weissen Dach eingehüllt.
Es scheint, als sei der legendäre Verpackungskünstler Christo auferstanden – und die Kornhausbrücke sein neuestes Werk.
So ist es aber nicht. 50 Meter über der Aare stehen Arbeiter auf einem Gerüst auf der Kornhausbrücke. Es ist nasskalt, sie hämmern wie wild – und spannen gerade die letzten Stücke der weissen Plachen auf ein Gerüst – dies im Rahmen der Gesamtsanierung der 127 Jahre alten Kornhausbrücke. Über ein Jahr wird sie dauern.
Auf Brücke bildet sich Menschenkarawane
Es fährt weder das 9i-Tram noch der 10er-Bus über die Brücke. Die Menschen müssen auf dem Trottoir über die Brücke laufen, wenn sie direkt vom Breitenrain-Quartier zum Zytglogge wollen – eingequetscht zwischen einer weissen Holzwand und dem Brückengeländer. Gerade zu Stosszeiten bildet sich so eine Karawane von Menschen auf der Brücke. Das Kreuzen auf der Brücke ist nicht ohne.
Ein paar Leute bleiben stehen und schauen den Arbeitern zu. «Die Baustelle ist hochinteressant, aber es ist schon ungewohnt, wenn man sich den Weg suchen muss», so ein Passant. «Ich finde es fantastisch, wenn man als Fussgänger am ‹Schärmä› auf der Brücke durchlaufen kann», sagt ein anderer Mann. «Im Sommer gibt es Schatten, ich finde das cool, dass sie während des Umbaus ein Dach auf die Kornhausbrücke stellen», kommentiert ein Herr.
Da stellt sich dennoch die Frage: Warum braucht es für die Sanierung der Kornhausbrücke ein riesiges, mehrere hundert Meter langes Dach?
Es sei eigentlich nicht als Wetterschutz für die Bevölkerung gedacht, sondern notwendig wegen der heiklen Bauarbeiten, sagt Reto Beer, der städtische Projektleiter der Kornhausbrücken-Sanierung. «Wir zelten die Brücke ein, damit wir unabhängig vom Wetter sind. Und auch bei Schnee und Regen etwa Gussasphalt giessen können.»
Ich finde es fantastisch, wenn man am ‹Schärme› über die Brücke gehen kann.
Die Gerüstkonstruktion sei jedoch schon eine komplexe Sache, gerade punkto Statik. «Wir mussten zuerst untersuchen, ob die Brücke das zusätzliche Gewicht überhaupt tragen kann», führt Beer aus.
Die 400 Meter lange Dachkonstruktion müssen in luftiger Höhe bei Sturm und Schnee standhalten. Die erste Bewährungsprobe habe das Dach bei einem kleinen Wintersturm diese Woche bestanden.
Velofahrende erschrecken Passanten – jetzt reagiert Stadt
Weniger erfreut über die Bauarbeiten sind manche Velofahrerinnen und Velofahrer. Sie können während Monaten nicht über die Brücke fahren, sondern müssen ihr Velo auf dem schmalen Trottoir über die Brücke schieben – wo wegen der vielen Fussgängerinnen und Fussgänger ohnehin wenig Platz ist.
Oder sie müssen einen langen Umweg über die Lorrainebrücke machen. «Eigentlich stört mich das gar nicht. Ich finde es ganz spannend, einmal zu Fuss über die Brücke zu gehen», sagt eine Velofahrerin.
Beobachtungen zeigen, dass dennoch immer wieder Velofahrende versuchen, auf dem Trottoir über die Brücke zu fahren. «Da erschrecken die Fussgänger, einige haben schon reklamiert. Deshalb stellen wir jetzt zusätzliche Schilder mit dem Fahrverbot auf. Denn es kann zu gefährlichen Situationen kommen», sagt Reto Beer. Die Brücke ist noch bis im November für den ÖV, bis im August für Velo gesperrt.