Diese Enthüllung bringt eine der grössten Psychiatriekliniken des Kantons Bern in Erklärungsnot: Während mehrerer Jahre arbeiteten im Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) zwei Psychiaterinnen, die der umstrittenen, sektenähnlichen Kirschblüten-Gemeinschaft angehören. Dies zeigen Recherchen des Magazins «Beobachter». Auch die Tochter des Gründers der Gruppierung, Samuel Widmer, war dort als Psychologin tätig.
Therapeuten und Psychiaterinnen der Kirschblüten-Gemeinschaft vertreten die sogenannte «Echte Psychotherapie». Tragende Elemente sind dabei Tantra-Sexualpraktiken und die Psycholyse, bei der auch illegale Drogen wie LSD und MDMA verabreicht werden. Der Bund anerkennt die Therapiemethoden der Kirschblüten-Gemeinschaft nicht.
Der Dachverband der psychiatrischen Kliniken und Dienste, Swiss Mental Healthcare (SMHC), distanziert sich deutlich von der Gruppierung: «Die Behandlungsmethoden sind inakzeptabel. Inzestuöse Handlungen sowie sexuelle Kontakte zwischen Therapeutinnen und Patienten werden nicht ausgeschlossen», sagt SMHC-Präsident Erich Seifritz. Die Vorkommnisse beträfen den Kern der psychiatrischen Behandlung, die sich nachteilig auf die Patientinnen auswirken könnten. «Es stehen Praktiken zur Diskussion, die ganz klar Standards überschreiten», so Seifritz.
Klinik-Chef stellte Psychiaterinnen ein
Wie kam es dazu, dass Mitglieder der Kirschblüten-Gemeinschaft in einem angesehenen Psychiatriezentrum arbeiten konnten? Der ärztliche Direktor des PZM soll die Psychiaterinnen persönlich eingestellt haben. Dies mit Wissen der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats. Er pflegte laut dem «Beobachter» zudem eine «private Beziehung» zu einer Person in Lüsslingen-Nennigkofen.
Was sagt das Psychiatriezentrum Münsingen selbst zu den Enthüllungen? «Meine Haltung zur Kirschblüten-Gemeinschaft ist dieselbe, wie die des gesamten Psychiatriezentrums – und sie ist glasklar: Wir distanzieren uns vollumfänglich von diesen pseudowissenschaftlichen Therapien, die von der Kirschblüten-Gemeinschaft praktiziert werden», sagt Verwaltungsratspräsident Jean-Marc Lüthi.
Weniger einfach zu beantworten sei die Frage, ob eine Person, die Teil der Kirschblüten-Gemeinschaft ist, im Psychiatriezentrum arbeiten dürfe, sagt Lüthi weiter: «Einerseits lehnen wir die Ideologie klar ab und dementsprechend müsste die Antwort ‹Nein› sein. Andererseits leben wir eine diskriminierungsfreie Anstellungspraxis. Und dazu kommt, dass es aktuell einen ausgeprägten Fachkräftemangel gibt, der in der Psychiatrie besonders spürbar ist. Das schränkt unsere Rekrutierung jeweils stark ein.»
Kanton prüft Schritte gegen Klinik
Nun beschäftigen sich auch die Kantonsbehörden mit den Vorkommnissen in Münsingen. Laut Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheitsdirektion, ist bereits eine aufsichtsrechtliche Beschwerde eingegangen. Man werde «bei Bedarf weitere Schritte unternehmen», so Giebel.
Weitere Kritik kommt von der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie (SGPP). Für sie ist die Kirschblüten-Gemeinschaft eine «gefährliche Bewegung mit totalitärem Anspruch, die Menschen mit Heilsversprechen ködert.» Jegliche ideologische Nähe oder Anhängerschaft sei nicht vereinbar mit den Standesregeln der SGPP. Für Psychiaterinnen und Psychiater, die sich nicht an diese Regeln hielten, gelte eine «Nulltoleranz», heisst es in einer Mitteilung.