Es ist eine Gleichung, die eigentlich schnell gemacht ist: Einerseits wächst die Schweizer Bevölkerung mehr und mehr. So dürfte hierzulande schon bald die 9-Millionen-Grenze überschritten sein. Zum Vergleich: Vor 40 Jahren lebten noch rund 6.4 Millionen Menschen in der Schweiz.
Andererseits hat sich das Wohnverhalten in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Während insbesondere der Anteil von Einzelhaushalten verhältnismässig stark zugenommen hat – er hat sich seit 1960 mehr als vervierfacht – und auch zunehmend mehr Haushalte aus zwei Personen bestehen, leben in immer weniger Wohnungen und Häusern drei oder mehr Menschen.
Kurz: Die Bevölkerung wächst, und die Menschen in der Schweiz beanspruchen im Schnitt immer mehr Wohnraum für sich. Also müsste eigentlich auch mehr Wohnraum entstehen, weil sich ansonsten das Angebot allmählich verknappen wird.
Leerwohnungsziffer sinkend
So weit, so plausibel. Doch genau dieses Szenario könnte bevorstehen. Dies zeigt die sogenannte Leerwohnungsziffer. Sie wird einmal im Jahr berechnet und legt dar, wie viel Wohnraum hierzulande leersteht (siehe Box).
Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt eine sinkende Tendenz. So beträgt die Leerwohnungsziffer derzeit 1.31 Prozent; vor zwei Jahren lag sie bei 1.72 Prozent. Oder in absoluten Zahlen ausgedrückt: Standen 2020 noch 78'832 Wohnungen in der Schweiz leer, waren es 2022 noch 61'496.
An und für sich sei das kein Grund zur Sorge. Dies sagt Ursina Kubli. Die Leiterin Immobilien Research bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) erklärt: «Man kann nicht pauschal sagen, wie hoch oder tief die Leerwohnungsziffer sein muss.» Offensichtlich ist auch, dass sie in der Vergangenheit schon deutlich tiefer war.
Es gelte aber, die Zahl im Kontext zu betrachten. Denn entscheidend ist vor allem, wo die Wohnungen leer stehen. Und ob das Angebot von einer lokalen Anfrage bedient werden kann. Oder mit einem Beispiel gesprochen: Einer Pflegefachkraft in der Stadt Zürich bringt es nichts, wenn die Leerwohnungsziffer in Martigny im Kanton Wallis bei acht Prozent liegt.
Einsprachen hemmen Wohnungsbau
Doch genau dies ist gemäss Kubli derzeit ein Problem. Es sei tatsächlich so, dass es insbesondere in den Städten wenig freien Wohnraum gebe. Die Konsequenz: Der Wohnungsmarkt im urbanen Raum wird umkämpfter, die Wohnkosten immer höher. Denn das oben genannte Beispiel mit der Pflegefachkraft ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Kubli sagt: «Zürcher Arbeitskräften nützen leere Wohnungen im Kanton Jura nichts.»
Zudem stocken Bauvorhaben, welche der Wohnungsnot Abhilfe schaffen würden. Immer wieder kommt es zu Einsprachen, welche die Prozesse verzögern (siehe Box unten).
Das spürt auch Nathanea Elte. Sie ist Präsidentin der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ). Elte sagt: «Die Folgen solcher Verzögerungen ist viel mehr Aufwand.» Es brauche neue Pläne und Grundlagen, Juristinnen und Architekten müssten erneut konsultiert oder die Stadt frisch involviert werden. «Der Aufwand ist immens», betont sie.
Die Folgen spüren gemäss Elte die Bewohnerinnen und Bewohner. Denn wegen des Mehraufwands steigen auch die Mieten. Vor allem aber können dadurch die zusätzlichen Wohnungen nicht angeboten werden, die es eigentlich braucht, um der Wohnungsknappheit im urbanen Raum entgegenzuwirken.