Ob ein Kind mit vier oder erst mit fünf Jahren in den Kindergarten geht, kann für die Schulkarriere entscheidend sein. Untersuchungen zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, die ein Jahr älter sind als ihre Klassenkameraden und -kameradinnen, in vielen Fächern besser sind als ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Ergo werden sie als die besseren Schüler wahrgenommen und haben später auch bessere Chancen, den Sprung ans Gymnasium zu schaffen.
Im Kindesalter macht es einen grossen Unterschied, ob ein Kind ein Jahr älter ist als die andern.
Das bestätigt Stefan Wolter, Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung. «Im Kindesalter macht es einen grossen Unterschied, ob ein Kind ein Jahr älter ist als seine Klassenkameraden.» Im Sport unterteile man die Juniorinnen und Junioren deshalb sehr feinstufig nach Alter, damit alle ungefähr die gleiche Ausgangschance haben. Schon ein Jahr mehr mache einen grossen Unterschied, sagt Wolter. Die körperliche und geistige Entwicklung verlaufe in diesem Alter sehr schnell, das zeige sich schon im Kindergarten und auch später in der Schule beim Bewältigen des Schulstoffs.
Eltern drängen auf spätere Einschulung
Diese Erkenntnis hat sich bei den Eltern herumgesprochen. Deshalb drängen auch immer mehr von ihnen darauf, ihre Kinder ein Jahr später in den Kindergarten zu schicken als vorgesehen. In den beiden Basel ist die Quote der später eingeschulten Kinder von unter einem Prozent innerhalb kurzer Zeit auf vier Prozent gestiegen – Tendenz steigend. Doch das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die beiden Basel. Die Entwicklung ist in allen deutschschweizer Kantonen festzustellen. Im Kanton Luzern können die Eltern seit mehreren Jahren selber entscheiden, ob sie ihr Kind ein Jahr später einschulen möchten oder nicht. Die Spät-Einschulungsquote ist dort auf 40 Prozent gestiegen.
Bildungsexperte Stefan Wolter beobachtet die Entwicklung mit einer gewissen Sorge. «Wir haben festgestellt, dass vor allem Buben zurückgehalten werden. Meist, weil sie noch etwas wild sind. Doch mit der späteren Einschulung von Buben schaffen wir schon im Kindergarten eine Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern.»
Die immer Gleichen sind benachteiligt
Neben den Mädchen gehören auch ausländische Kinder und Kinder aus bildungsfernen Familien zu den Benachteiligten. Ihre Eltern wissen häufig nichts von der Möglichkeit einer späteren Einschulung.
Eine Abklärung durch Fachleute wäre die beste Lösung.
In jenen Kantonen, in denen Fachleute nach einer psychologischen Abklärung über eine spätere Einschulung entscheiden, steigt der Druck, die Verantwortung an die Eltern zu übergeben. In Basel-Stadt ist deshalb ein parlamentarischer Vorstoss hängig, der genau das verlangt. «Die Eltern kennen ihre Kinder am besten, also sollen sie entscheiden, wann ihr Kind in den Kindergarten soll», sagt Oswald Inglin, ehemaliger Grossrat der Mitte, der den Vorstoss vor ein paar Jahren lanciert hatte.
Bildungsfachmann Stefan Wolter widerspricht: «Eltern haben auch ihre eigenen Wünsche an die schulische Karriere ihrer Kinder und sind nicht immer neutral bei der Beurteilung ihrer Sprösslinge», sagt Wolter. Er fände es deshalb am besten, wenn das System von Basel-Stadt überall gelten würde. «Eine Abklärung durch eine Fachperson ist immer noch die beste Lösung.»