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Bewerbung für UNO-Organ «Dass die Schweiz kandidiert, ist eine sehr, sehr gute Nachricht»

Zwölf Jahre lang war Christoph Heusgen der aussen- und sicherheitspolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Seit 2017 vertritt er als Botschafter Deutschland am UNO-Hauptsitz, auch im UNO-Sicherheitsrat, dem Deutschland zurzeit als nichtständiges Mitglied angehört. Im German House in New York äussert er sich zur Blockade des Sicherheitsrates, darüber, dass jede UNO-Reform das Bohren dicker Bretter bedeutet, und über die Schweizer Kandidatur für das mächtigste UNO-Organ.

SRF News: Die Krise am Persischen Golf gilt momentan als die weltpolitisch gefährlichste. Bloss: Vom UNO-Sicherheitsrat war dazu bisher so gut wie nichts zu hören. Was läuft da schief?

Christoph Heusgen: Die Lage am Persischen Golf war eines der zentralen Themen während der diesjährigen Generaldebatte. Die Vereinten Nationen sind der Ort, wo Gespräche geführt werden, wo sich die verschiedenen Parteien treffen, wo vor und hinter den Kulissen versucht wird, diese zusammenzuführen. Wir müssen die UNO als Gesamtforum verstehen. Der Sicherheitsrat spielt da auch eine entscheidende Rolle. Aber nicht die einzige. Er kann nicht alles machen.

Dennoch herrscht der Eindruck, dass ausgerechnet das mächtigste UNO-Organ zurzeit gelähmt ist.

Es gibt sicher Licht und Schatten. Es gibt viele Fragen, die im Sicherheitsrat nicht gelöst werden können. Aber das war immer so. Insbesondere während der langen Jahre des Kalten Krieges. Auch heute ist dies in einigen Fragen der Fall.

In der Syrienfrage gelang es, dass Staaten, die da sonst gespalten sind, am selben Strick ziehen.

Sie sagen aber, es gebe auch viel Licht. Wo zum Beispiel?

Zum Beispiel in Kolumbien. Der Sicherheitsrat hat vor einigen Wochen Kolumbien besucht. Der Friedensprozess dort hat auch dank des Sicherheitsrates Fortschritte gemacht. Oder im Fall des nach wie vor ungelösten Konflikts in Syrien: Hier ist dem Sicherheitsrat Ende 2018 immerhin gelungen, eine Resolution zu verabschieden, welche grenzüberschreitende humanitäre Hilfe ermöglicht.

Und erst kürzlich haben sich die Konfliktparteien in Syrien mit Unterstützung des UNO-Sondergesandten auf die Einrichtung eines Verfassungskomitees geeinigt – ein erster bedeutender Schritt um über die Zukunft Syriens zu beraten und in Richtung politischer Prozess. Da gelang es, dass Staaten, die sonst in der Syrienfrage gespalten sind, am selben Strick ziehen. Auch bei der inzwischen positiven Entwicklung im Sudan spielt der Sicherheitsrat eine Rolle. Man muss also immer wieder an kleinen Punkten ansetzen.

Was müsste denn grundsätzlich getan werden, damit die Blockade des Sicherheitsrates in manchen Fragen, von Syrien über Burma bis zur Ukraine, gelöst werden könnte?

Zunächst – man darf nie aufgeben. Man muss es immer wieder versuchen. Man muss sich ständig bemühen, Brücken zu bauen zwischen Parteien, die sich gegenüberstehen. Immer wieder den Dialog im Sicherheitsrat suchen. Und dann stellt man fest: Kleine Schritte gelingen dann doch.

Deutschland ist nun seit neun Monaten als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat. Was konnten Sie in dieser Zeit bewegen?

Wir sind in den Sicherheitsrat gegangen mit dem Ziel, bei jenen Themen, die turnusmässig auf der Tagesordnung stehen, unseren Beitrag zu leisten. Bei einigen Themen haben wir sogar die Federführung übernommen. Etwa bei der Frage der Fortführung der UNO-Präsenz in Afghanistan. Wir wollen auch, dass man weiterkommt bei Themen wie Sudan, Nahost oder Myanmar. Oft tun wir das mit konkreten Vorschlägen.

In unserer Präsidentschaft hat eine Rekordzahl von Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, besonders Frauen, den Sicherheitsrat unterrichtet.

Ausserdem haben wir – ich denke erfolgreich – versucht, neue Themen einzubringen in den Sicherheitsrat: Wir wollen den Begriff Sicherheit weiter auslegen. Wir wollen mehr tun in der Krisenverhütung. Uns ist es während unserer Präsidentschaft im April gelungen, eine Resolution zur Bekämpfung von sexueller Gewalt in Konflikten zu verabschieden.

Im nächsten Jahr wollen wir den Blick auf das Thema Klima und Sicherheit lenken. Der Klimawandel hat auf die Sicherheit in manchen Ländern und Regionen erheblichen Einfluss. Wir haben es geschafft, die Zivilgesellschaft stärker zu beteiligen, so hat in unserer Präsidentschaft eine Rekordzahl von Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, besonders Frauen, den Sicherheitsrat unterrichtet. Wir haben also einiges erreicht.

Nun gehört Deutschland unter den nichtständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat zu den Schwergewichten. Zuoberst in der Hackordnung sind jedoch die dominierenden Vetomächte USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien. Dann folgen einflussreiche Staaten wie Deutschland und schliesslich an dritter Stelle die Kleinstaaten.

Es stimmt natürlich, dass die permanenten Mitglieder eine Sonderstellung haben. Allein schon aufgrund ihrer Erfahrung, und weil sie ein Vetorecht besitzen. Aber alle anderen können ebenfalls einen Beitrag leisten. Da spielt die Grösse gar nicht die entscheidende Rolle. Wichtig ist die Glaubwürdigkeit, die ein Land mitbringt, das Engagement und das Verhandlungsgeschick. So ist es uns gelungen, zuvor aber beispielsweise auch den Schweden oder den Niederländern, etwas zu bewirken und am Ende der zweijährigen Amtsperiode auch etwas zu hinterlassen.

Man hört in New York immer wieder, von Beobachtern, aber auch von Staaten, die dem Sicherheitsrat nicht angehören, dass das Gremium eine «Blackbox» sei, dass vieles hinter verschlossenen Türen ausgekungelt werde, dass es an Transparenz fehle. Deutschland ist nun drin im Sicherheitsrat, wie sehen Sie das, stimmt der Vorwurf?

Das stimmt so nicht. Wenn Sie sich die Tagesordnung anschauen, stellen Sie fest: Der Grossteil der Sitzungen findet öffentlich statt. Wenn Vertreter der Zivilgesellschaft aus Konfliktländern dem Rat berichten, dann ist das öffentlich. Wenn Russland, wenn China, wenn wir Deutschen Position beziehen zu einem Problem, dann machen wir das in der Regel öffentlich. Natürlich gibt es Diskussionen über Feinheiten von Resolutionstexten, die nicht öffentlich stattfinden. Oder es gibt gelegentlich nicht öffentliche Verhandlungen – aber das gehört nun mal zu Verhandlungsprozessen. Aber sehr vieles ist öffentlich. Auch Medienvertreter können sich bei sehr vielen Sitzungen reinsetzen und sie mitverfolgen.

Die Schweizer UNO-Botschaft gilt auf vielen Feldern als ausgesprochen kompetent.

Zum ersten Mal strebt jetzt auch die Schweiz in den Sicherheitsrat, für die Amtsperiode 2023/24. Die Kampagne für die Bewerbung läuft bereits an. Welche Möglichkeiten hat ein kleines Land wie die Schweiz, im Sicherheitsrat etwas zu bewegen?

Also, dass die Schweiz kandidiert, ist eine sehr, sehr gute Nachricht. Die Schweiz hat hier bei den Vereinten Nationen einen ausgezeichneten Ruf. Sie haben hier mit Botschafter Jürg Lauber auch eine gestandene Persönlichkeit, die bei vielen Themen Eindruck macht. Die Schweizer UNO-Botschaft gilt auf vielen Feldern als ausgesprochen kompetent. Wenn nun die Schweiz, die ja bereits in vielen Konflikten als Moderatorin eine Rolle spielt, etwa als Interessenvertreterin der USA im Iran, jetzt in den Sicherheitsrat möchte, dann begrüsse ich das sehr.

In der Schweiz selber gibt es aber Stimmen, die kritisch anmerken, Neutralität sei mit einem Einsitz im UNO-Sicherheitsrat schlecht verträglich.

Überhaupt nicht, im Gegenteil! Die Schweiz ist ja nicht neutral im Sinne, dass sie keine Meinung hat. Dass sie nichts sagt zu Menschenrechten, zu Verträgen, zu Konflikten. Die Neutralität hindert die Schweiz nicht daran, Stellung zu nehmen. Gerade weil sie neutral ist, ist sie bei bestimmten Themen, die hier umstritten sind, besonders geeignet, zu versuchen, im Sicherheitsrat Einigkeit herzustellen. Wie gesagt, es ist eine gute Sache, dass die Schweiz sich bewirbt.

Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.

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