Strafverfolger können Beschuldigte in Haft nehmen. Länger als 96 Stunden dürfen sie das aber nur, wenn ein Richter – ein sogenannter Zwangsmassnahmenrichter – es bewilligt. Damit man einen mutmasslichen Täter länger in Haft behalten kann, muss ein dringender Tatverdacht und die Gefahr bestehen, dass er fliehen, Beweise vernichten, Zeugen beeinflussen oder wieder straffällig werden könnte.
Wie eine Recherche von SRF Data und der Rundschau zeigt, urteilen diese Zwangsmassnahmenrichter sehr unterschiedlich: Im Jahr 2017 lehnten sie etwa im Kanton Aargau 9,9 Prozent aller Anträge der Staatsanwälte auf U-Haft ab; im Kanton Bern hingegen nur 1,8 Prozent. In den Kantonen Waadt oder Solothurn sogar bloss 1,3 Prozent.
Blindflug im Kanton Zürich
Besonders stossend: Der Kanton Zürich, der von allen Kantonen am meisten Zwangsmassnahmen verhängt, kann nicht sagen, wie viele Anträge von Strafverfolgern gutgeheissen und wie viele abgewiesen werden. Die Gerichte erheben diese Zahl nicht.
Offenbar haben die Behörden diesen Mangel erkannt. «Im Rahmen der Gesamtüberarbeitung des Rechenschaftsberichtes überprüfen wir, ob und inwiefern ab 2019 die Daten statistisch erfasst werden können», sagt Andrea Schmidheiny, Medienbeauftragte des Zürcher Obergerichts.
«Wir prüfen jede Massnahme genau»
Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind erstaunlich – gerade weil die neue eidgenössische Strafprozessordnung von 2011 die kantonale Praxis vereinheitlichen wollte. Wie lässt sich erklären, dass Aargauer Richter den Strafverfolgern fünf mal häufiger Stopp sagen als die Berner Kollegen?
Winken die Richter im Kanton Bern die Anträge der Staatsanwälte einfach unbesehen durch? «Nein, sicher nicht», sagt Jürg Zinglé, Präsident des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Bern. «Wir prüfen bei jeder Massnahme genau, ob die gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind und ob sie verhältnismässig ist».
Dass sein Gericht fast 100 Prozent aller Zwangsmassnahmen genehmigt, erklärt Zinglé damit, dass Strafverfolger nur in klaren Fällen Antrag stellen. «Staatsanwälte kennen die Praxis des Zwangsmassnahmengerichts und stellen keine aussichtslosen Anträge. Zudem sind die Strafverfolger zurückhaltend mit solchen Massnahmen, weil sie viel Arbeit verursachen.»
Gründe bleiben im Dunkeln
Aber wie erklärt er sich den grossen Unterschied zum Kanton Aargau, der die Staatsanwälte fünf mal häufiger zurückpfeift? «Aus den Zahlen alleine kann ich mir den Unterschied nicht erklären. Da müsste man schon die konkreten Entscheide genauer anschauen.»
Stellen die Aargauer Staatsanwälte schlechtere Anträge als die Berner Kollegen? «Das kann man so nicht sagen», entgegnet Peter Rüegg, Geschäftsführer des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau. «Es könnte ja auch sein, dass die Aargauer Richter genauer hinschauen. Die Quote alleine sagt nichts aus», meint Rüegg.
Und fügt an: «Aber grundsätzlich finde ich es als Staatsbürger beruhigender, wenn fast 10 Prozent abgewiesen werden, als wenn fast alle Anträge der Strafverfolger gutgeheissen werden.» Auch Rüegg erachtet den Unterschied als auffällig. Er würde es begrüssen, wenn man das genauer untersuchen würde.
Genauer hinschauen, genauer untersuchen – das ist schneller gesagt als getan. Denn die Zwangsmassnahmengerichte halten in fast allen Kantonen ihre Entscheide geheim.
Mitarbeit: Timo Grossenbacher.