Ungewohnt undiplomatisch geht Petros Mavromichalis mit der Schweiz ins Gericht: «Wir haben der Schweiz fast alles zugestanden, was sie wollte», sagt der EU-Botschafter im «Rundschau talk»: «Irgendwann muss man sagen: Jetzt reicht es.»
Frostiges Klima
Ein Jahr ist es her, seit der Bundesrat die Verhandlungen mit Brüssel über ein Rahmenabkommen abgebrochen hat. Die Bilanz des EU-Botschafters ist vernichtend: Das Klima sei frostig. Alle Probleme, die das Abkommen hätte lösen sollen, seien immer noch da. Die Schweiz profitiere am meisten vom EU-Binnenmarkt, obwohl sie nicht Mitglied sei. Dort, wo sie am Binnenmarkt teilnehme, müsse sie die Regeln der EU akzeptieren – insbesondere auch im umstrittenen Bereich der Personenfreizügigkeit. Die EU habe sich in der Vergangenheit sehr bemüht, der Schweiz entgegenzukommen. Sie habe zum Beispiel Ausnahmen und einem neu zu schaffenden Schiedsgericht zugestimmt. Nun reiche es.
Cassis: Wir sind auch enttäuscht
Bundespräsident Ignazio Cassis lässt die scharfe Kritik nicht auf sich sitzen: «Wir sind auch enttäuscht, wie wenig flexibel die EU bislang war», sagt er im «Rundschau talk».
Wir sind auch enttäuscht, wie wenig flexibel die EU bislang war.
Die EU bleibe starr bei ihrer Meinung. So lasse sich nie ein Mittelweg finden: «Wir erwarten, dass uns auch die EU mit etwas Pragmatismus entgegenkommt», so Cassis. Sonst brauche es gar keine Verhandlungen.
Kein Rahmenabkommen 2.0
Der Bundesrat hat im Februar festgelegt: Er will die einzelnen Themen wie Personenfreizügigkeit, Landverkehr oder technische Handelshemmnisse mit der EU einzeln regeln – und nicht mehr mit einem alles umfassenden Rahmenvertrag. Zudem will er die Verhandlungsmasse um zusätzliche Themen wie Strom und Gesundheit erweitern. Die Schweizer Chefdiplomatin Livia Leu hatte seither zwei Gesprächsrunden mit ihrem Ansprechpartner bei der EU-Kommission. Ein jüngst veröffentlichter Briefaustausch zwischen der Schweiz und der EU machte deutlich, dass die Positionen weit auseinanderliegen.
Bundesrat unter Druck
Innenpolitisch steht der Bundesrat unter dem Druck der Wirtschaft und der Forschung, welche die negativen Folgen der Blockade spüren. Druck machte diese Woche auch der Nationalrat. In einem knappen Entscheid forderte er den Bundesrat auf, eine weitere Kohäsionszahlung mit der EU auszuhandeln – um im Gegenzug wieder aufgenommen zu werden ins EU-Forschungsprogramm Horizon. Gelegenheit für eine ausführliche Aussprache bietet sich dem Bundesrat diesen Freitag: Auf dem Programm steht eine Klausursitzung zur Europapolitik.