Sie schaut so unschuldig, lässt die Glocke bimmeln – die weisse Kuh sieht lammfromm aus. «Das täuscht», sagt Bauer Nicolas Kulov. Die Kuh durfte frei herumlaufen, wie alle. «Doch dann begann sie, den Bauern Gemüse wegzufressen – und andere machten es ihr nach, die mögen lieber Gemüse als Gras.»
Jetzt trotten die frechen Kühe und Rinder durch ein grosses Gehege, sind sozusagen in Haft, wie es der Bauer sagt – bis sie vergessen, wie gut Gemüse schmeckt. Damit ist schon einiges erzählt über Vasil Levski – ein Dorf in Bulgarien, dort, wo das Balkangebirge der weiten Ebene jäh den Atem nimmt.
Hier, auf dem Hof der Familie Kulov, ist alles Bio, ganz ohne Bescheinigung. Die Tiere laufen frei herum, fressen, was wächst, geben dicke Milch.
Bis vor kurzem habe ich jedes Jahr nur Verlust gemacht.
Stiere, Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde hat Bauer Kulov, fast alles alte bulgarische Rassen. Futter pflanzt er selbst an, sein Hof ist ziemlich gross nach bulgarischen Massstäben. «Und trotzdem», erzählt der Bauer neben seiner Melkmaschine – Occasion aus Deutschland –, «trotzdem habe ich bis vor kurzem jedes Jahr nur Verlust gemacht.»
Bis vor wenigen Jahren galten in Bulgarien Gesetze aus der Zeit der riesigen, kommunistischen Landwirtschaftsbetriebe. Bauern durften ihre Milch, ihr Fleisch nicht selbst verarbeiten, mussten alles zu tiefen Preisen an grosse Sennereien und Schlachthöfe verkaufen.
Dann kam die Schweiz, und zwar gründlich. Über vier Millionen Franken steckte der Bund in ein Vorhaben mit dem Namen «Für den Balkan und die Leute». Zuerst lud man bulgarische Beamte in die Schweiz ein und zeigte ihnen, wie Bauern hier wirtschaften. Die Schweizer Überzeugungsarbeit wirkte, die Bulgaren schrieben ihre Gesetze um. Bauern dürfen nun selbst verarbeiten und verkaufen.
Dann half die Schweiz fast 50 Bauern beim Bauen eigener Sennereien. Und überredete das Landwirtschaftsministerium in der Hauptstadt Sofia, jede Woche vor seinem Prachtsbau einen Bauernmarkt zuzulassen – auch dafür gab es ein bisschen Geld.
In der kleinen Sennerei der Familie Kulov ziehen wir Plastikhüllen über die Schuhe – hier soll alles sauber sein. Nicolas' Frau Tanya Kulov zeigt die Joghurtmaschine, die Wanne, in der sie Käse macht. Und entschuldigt sich für die Unordnung. Sie habe wenig Zeit, gleich fahre der Lieferwagen ab zum Bauernmarkt in Sofia.
Etwas will Nicolas Kulov aber noch sagen vor der Abfahrt: «Heute weiss ich, dass man in Bulgarien von Landwirtschaft leben kann.» Dass man dabei sogar alte Rassen erhalten, die Natur schützen könne. Und, dass der Sohn den Hof einmal übernehmen werde.
Stoilko Apostolov ist der Mann, der das Vorhaben der Schweiz in Bulgarien in die Tat umsetzt. Oft, sagt er, brauchten die Bauern Mut dringender als Geld. «Viele Bulgarinnen und Bulgaren sind es nicht gewohnt, Dinge anzupacken, zu verändern, sich zu diesem Zweck zusammenzutun.»
Zu lange sei immer über ihre Köpfe hinweg entschieden worden. Es gebe in Bulgarien keine lokale Politik, niemand engagiere sich für die kleinen Leute.
Ein elegant gekleideter Herr mischt sich ein, die Plastiktüten voll Büffelmilch. «Es ist doch nicht normal, dass die Schweiz bezahlt für diesen Markt, das müsste doch das bulgarische Ministerium tun. Was ist das hier bloss für ein Land?»
Ein Land, findet Stoilko Apostolov, dessen Bauern aufgewacht seien, jetzt selbständiger arbeiteten. Fortan ohne die Schweiz. Aber auch dank der Schweiz.