Wenn jemand Zug, Tram oder Bus ohne gültiges Billett benutzt, ist er oder sie leider kein Einzelfall. So sagt Thomas Ammann vom ÖV-Tarifbranchenverband Alliance Swiss Pass: «Wir gehen davon aus, dass dem öffentlichen Verkehr durch Reisende ohne oder mit nur teilgültigem Fahrausweis ein höherer zweistelliger Millionenbetrag verloren geht.»
Ammann spricht von rund einem Prozent aller Gesamteinnahmen. 2022 waren dies rund 6 Milliarden Franken. Demnach entgingen der ÖV-Branche allein im letzten Jahr 60 Millionen Franken wegen Schwarzfahrenden. Das ist ein Rekord seit Einführung des Schwarzfahrerregisters 2019.
Dies sei nur eine Schätzung, mahnt Ammann, denn man erwische nur einen Bruchteil der Reisenden ohne Ticket. Die Dunkelziffer dürfte noch einiges höher sein.
Nicht ohne Billett einsteigen
Mit ein Grund für die Zunahme von Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrern sei die technologische Entwicklung: «Bei den elektronischen Tickets hat man die Möglichkeit, zuerst in das Fahrzeug einzusteigen und erst dann das Billett zu lösen. Es gilt aber nach wie vor die Tarifbestimmung, dass man vor dem Einstieg über ein gültiges Ticket verfügen muss», so Ammann. Die Möglichkeit, in Fernzügen Papertickets beim Kontrolleur oder der Kontrolleurin zu lösen, haben die SBB stufenweise abgeschafft. Wer heute sein Ticket beim Personal lösen will, muss sich vor der Fahrt beim Personal melden und bezahlt einen Zuschlag von zehn Franken.
Schon früher wusste man, dass es – wenn man kein gültiges Billett hat – spätestens bei der Kontrolle Ärger gibt.
Karin Blättler ist Präsidentin von Pro Bahn, der Interessenvertretung der ÖV-Kundinnen und -Kunden. Sie ärgert sich sehr über dieses Verhalten mancher Fahrgäste. «Ich persönlich habe null Verständnis dafür. Schon früher wusste man, dass es – wenn man kein gültiges Billett hat – spätestens bei der Kontrolle Ärger gibt.»
Blättler plädiert deshalb für Nulltoleranz bei Kontrollen – egal, ob man ganz ohne Billett unterwegs ist oder aber es zu spät gelöst hat. Sie sagt: «Ich unterstütze ein rigoroseres Controlling. Es ist unfair gegenüber denen, die sich fair verhalten. Diese 60 Millionen Franken werden über den Preis abgedeckt.»
Zu spät gelöst: App merkt alles
Dass Missbrauch wegen des digitalisierten Ticketings weniger gut aufgedeckt wird, stimme übrigens nicht, heisst es bei Fairtiq, die sämtliche Apps fürs Ticketing im öffentlichen Verkehr in der Schweiz betreibt. Man könne jederzeit feststellen, wenn jemand via App ein Ticket zu spät löse, respektive via Easy-Ride zu spät ein- oder zu früh wieder auschecke.
Das könne Folgen haben: «Bei wiederholtem Nichteinhalten der Nutzungsbedingungen wird die Kundin oder der Kunde per SMS auf die korrekte Nutzung aufmerksam gemacht. Ändert sich das Verhalten nicht, wird die Kundin oder der Kunde gesperrt.»
Diese Sperrung kann mehrere Monate oder Jahre dauern. Will der Fehlbare weiterhin den ÖV benutzen, muss er ein Billett an einem Automaten oder am Schalter lösen.
Die ÖV-Branche unternimmt Anstrengungen, um die Reisenden an die neuen Ticketmöglichkeiten zu gewöhnen.
Bei Kontrollen liegt es jedoch im Ermessen des Kontrolleurs, ob er für zu spätes Ticketlösen eine Busse ausstellt. Noch seien viele Kontrolleurinnen und Kontrolleure kulant, weil sich viele Reisende noch nicht daran gewöhnt hätten, sagt Thomas Ammann.
«Die ÖV-Branche unternimmt Anstrengungen, um die Reisenden an die neuen Ticketmöglichkeiten zu gewöhnen, beispielsweise durch Hinweise in der App, wenn man ein E-Ticket zu spät löst.»
Zudem wird an vielen Tram- und Bustüren darauf hingewiesen, dass man vor dem Einsteigen ein Billett lösen soll. Denn ob man das Ticket elektronisch kauft, mittels App eincheckt oder am Automaten löst, nach wie vor gilt im ÖV: Einsteigen nur mit gültigem Billett.