Ein Angriff auf die Schweiz steht unmittelbar bevor. Um die Attacke zu verhindern, steigen schwer bewaffnete Schweizer Kampfjets in den Himmel. Sie sollen gegnerische Ziele im Ausland bombardieren: Etwa eine Brücke und einen Flugplatz.
Diese fiktiven Kriegs-Missionen sind in internen Dokumenten der Rüstungsbehörde Armasuisse beschrieben. Es sind Aufgaben, die die Kampfjet-Hersteller im Auswahlverfahren bewältigen mussten. Laut Dokumenten, um die Waffensysteme und Missionstauglichkeit der Flieger zu testen.
Fiktive Angriffe auf Nachbarstaaten
Vier Szenarien mussten die Kampfjet-Hersteller technisch beschreiben und im Simulator fliegen: «Konferenzschutz», «Luftverteidigung», «Luftaufklärung» sowie «Bekämpfung von Bodenzielen».
Die Aufgaben enthalten gerundete Koordinaten. «SRF Investigativ» hat sie ausgewertet. Die letzten zwei Szenarios führen ins Ausland; nach Süddeutschland, Österreich und Tschechien. Um einen Krieg zu verhindern, so die Aufgabe, müssen die Kampfjets Informationen über militärische Ziele sammeln und präventiv angreifen.
Das weiteste Ziel liegt 370 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt in Tschechien. Dort sollen die Kampfjets einen Flughafen und den gegnerischen Kommandanten-Konvoi bombardieren.
Das ist ausserordentlich heikel, weil wir ins Licht eines Angreifers kommen.
Die Armee will künftig wieder Bodenziele aus der Luft bekämpfen können. In Zeiten von Krieg sollen damit die Bodentruppen unterstützt werden. Im Strategiepapier «Luftverteidigung der Zukunft» steht zwar, der neue Kampfjet diene dazu, Ziele in der Tiefe des gegnerischen Raums anzugreifen. Dass aber auch Präventivschläge denkbar sind, wird erst mit den internen Szenarien deutlich.
Roland Beck, Oberst im Generalstab a.D. und Militärhistoriker sagt dazu mit Blick auf die neutrale Rolle der Schweiz: «Das ist ausserordentlich heikel meiner Meinung nach, weil wir ins Licht eines Angreifers kommen und unsere Grundphilosophie ist: Wir verteidigen.»
Das sagt das VBS
Präventivschläge im Ausland hält Peter Hug, ehemaliger sicherheitspolitischer Berater der SP, für «bizarr». Und: «Man bekäme im Stimmvolk nie eine Mehrheit für einen Kampfjet, wenn man offen deklarieren würde, dass man weit ausserhalb der Schweiz Bodenziele bombardieren will.»
Präventivschlag zur Landesverteidigung?
Im Bundeshaus lösen die Szenarien unterschiedliche Reaktionen aus: Für FDP-Präsident Thierry Burkart gibt es im Kriegsfall keine Neutralität mehr: «Dann muss man alle möglichen Missionen durchführen, die dem Schutz des Landes dienen. Dazu gehören auch Präventivschläge, wenn damit Schläge gegen die Schweiz verhindert werden können.»
SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf hingegen hatte «immer Angst, dass es im VBS tatsächlich solche Vorstellungen geben könnte». Sie sei schockiert, denn: «Wir haben eine Armee für den Verteidigungsfall, keine Angriffsarmee.»
Mit den Recherchen von «SRF Investigativ» konfrontiert erklärt das VBS, die Szenarien entsprächen den vier Einsatzarten, welche das neue Kampfflugzeug gemäss Anforderungen abdecken soll. Aber: «Die Szenarien haben nichts mit der realen sicherheitspolitischen Lage und Entwicklung zu tun.» Es handle sich um eine rein technische Betrachtung der Fähigkeiten. «Zweck dieser fiktiven Szenarien war es, den Herstellern die Gelegenheit zu geben, die gesamte Leistungsfähigkeit ihrer Kampfflugzeuge aufzeigen zu können.»
Die Szenarien haben nichts mit der realen sicherheitspolitischen Lage zu tun.
Dies sei auch der Grund, warum das VBS die Szenarien nicht publiziere: «Szenarien bergen immer die Gefahr, missverstanden zu werden.» Das VBS informiere seit Jahren transparent darüber, wofür die Kampfflugzeuge eingesetzt werden sollen.