Eigentlich wollte das Parlament mit dem Massnahmenpaket Via Sicura Raser härter anpacken: Wer mit krass überhöhter Geschwindigkeit fuhr, musste fortan mindestens ein Jahr ins Gefängnis.
Doch 2023 machte das Parlament einen Rückzieher und änderte das Gesetz: Wer die letzten zehn Jahre kein schweres Verkehrsdelikt begangen hat, darf wieder mit einer Geldstrafe statt Gefängnis bestraft werden.
Doch was ist eigentlich mit Neulenkern, die in den letzten zehn Jahren gar nicht Auto gefahren sind? Im Parlament ging diese Frage offenbar schlicht vergessen. Deshalb musste das Bundesgericht die Frage klären.
Milde Strafen auch für Neulenker
In einem heute publizierten Leitentscheid schreibt das oberste Gericht der Schweiz: Die Regelung, wonach ein Raserdelikt bei einem guten «Verkehrs-Leumund» mit Geldstrafe statt Gefängnis sanktioniert werden könne, gelte auch für Neu- und Junglenker.
Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass der Gesetzgeber mit der neuen Bestimmung beabsichtigte, dem Richter bei der Bestrafung von Raserdelikten einen gewissen Ermessensspielraum einzuräumen. Weder aus dem Gesetz noch aus den parlamentarischen Debatten könne geschlossen werden, dass dies vom Zeitpunkt des Erlangens des Führerausweises respektive vom Alter des Lenkers abhängig gemacht werden sollte.
«Raserdelikte werden zunehmen»
Die Stiftung RoadCross Schweiz, die 2010 die Volksinitiative «Schutz vor Rasern» lanciert hatte, findet das Urteil «brandgefährlich».
«Die Möglichkeit, die Mindeststrafen zu unterschreiten, sollte nur dann angewendet werden, wenn jemand durch langjähriges regelkonformes Verhalten im Strassenverkehr beweist, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht rücksichtslos gefährdet», schreibt Willi Wismer, Stiftungsratspräsident RoadCross Schweiz, auf Anfrage. «Diese Regelung auf Junglenkende anzuwenden, die noch keine zehn Jahre im Strassenverkehr unterwegs sind, gleicht einem Freifahrtschein für Raserei – und das ausgerechnet für jene Altersgruppe, die statistisch am häufigsten durch Raserdelikte auffällt.»
Tatsächlich werden gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik am meisten junge Männer zwischen 20 und 24 Jahren für schwere Verkehrsdelikte verurteilt. Laut RoadCross könnte die Rechtsprechung dazu führen, dass Raserdelikte in dieser Altersgruppe weiter zunehmen.
Bundesgerichtsentscheid 6B_1372/2023