Dass Eltern einer 17-Jährigen bis vor Bundesgericht gehen, um die Geschlechtsänderung ihres Kindes zu verhindern, zeige ein grosses Leid, sagt Marie-Lou Nussbaum. Sie berät trans Jugendliche und deren Eltern am Inselspital: «Ich glaube, dass dieser Schritt Ausdruck ist von einer grossen Not der Eltern.»
Meist machten sich die Eltern um die medizinischen Eingriffe Sorgen, also um Hormonbehandlungen oder die Amputation von Brüsten oder Penis.
So auch im konkreten Fall. Der Anwalt der Eltern schreibt auf Anfrage: «Sie sehen die Personenstandsänderung als direkte Bedrohung der Zukunft ihres Kindes und sie befürchten, dass ihrem Kind mit der rechtlichen Geschlechtsänderung der Weg zu hormonellen und chirurgischen Behandlungen geebnet wird, die seine körperliche, sexuelle und psychische Integrität endgültig und unwiderruflich schädigen können.»
Es sei für die Eltern unerträglich, dass sie nun unter Strafandrohung ID und Pass herausgeben und damit quasi an der Geschlechtsänderung ihres Kindes mitwirken müssten.
Ich finde es wichtig, dass die Ängste und Bedenken der Eltern immer gleichwertig behandelt werden wie auch die Bedürfnisse und Ängste der Jugendlichen.
Vor Gericht hatten die Eltern aus Genf geltend gemacht, es verstosse gegen die UNO-Kinderrechtskonvention, dass Minderjährige in der Schweiz einfach so ihr Geschlecht ändern können. Doch laut Bundesgericht wollte der Gesetzgeber ganz klar, dass Personen ab 16 Jahren das unkompliziert machen können – ohne Einwilligung der Eltern und ohne psychiatrisches Gutachten.
«Selbstbestimmte Entscheide sind wichtig»
Das findet auch Marie-Lou Nussbaum wichtig: «Für minderjährige Jugendliche ist es gerade bei Fragen, die ihre Identität betreffen, wichtig, dass sie möglichst selbstbestimmte Entscheide treffen können.»
Die Co-Leiterin der Sprechstunde Geschlechtervielfalt am Inselspital Bern sagt aber auch: «Ich finde es wichtig, dass die Ängste und Bedenken der Eltern immer gleichwertig behandelt werden wie auch die Bedürfnisse und Ängste der Jugendlichen.» In der Sprechstunde versuchten sie, den Dialog zwischen Eltern und Jugendlichen zu fördern.
Zwar erlebe sie in der Beratung häufig Meinungsverschiedenheiten und Konflikte bezüglich Personenstandsänderungen und Hormonbehandlungen: «Gleichzeitig erlebe ich auch, dass die meisten Jugendlichen und die meisten Eltern um Dialog, gegenseitiges Verständnis, Rücksichtnahme und Unterstützung bemüht sind.»
Dass Eltern bis vor Bundesgericht gehen, ist und bleibt also die Ausnahme.