Thurnherr, wer? Die Menschen auf der Strasse dürften ihn wohl kaum kennen – den wohl einflussreichsten und obersten Beamten in Bundesbern.
Er hat die Macht, Themen auf die politische Agenda des Bundesrates zu setzen, sie zeitlich zu arrangieren. Er sei der eigentliche «Logistiker des Bundesrates», sagt der ehemalige Bundeskanzler Oswald Sigg. Und weiter sagt Sigg: «In diesem Punkt ist er fast noch einflussreicher als der Bundespräsident. Denn der Bundespräsident wechselt jedes Jahr, der Bundeskanzler hingegen bleibt länger.»
Vom Physiker zum Ausnahme-Beamten
Thurnherr ist aber nur nicht einfach Kraft seines Amtes so einflussreich. Sein Weg hat den 56-Jährigen zu dem gemacht, was er ist. Er wuchs in einer Arbeiterfamilie auf, studierte theoretische Physik an der ETH. Obwohl Physiker, bewarb er sich als Diplomat in Moskau im Dienst der Schweiz – und wurde prompt eingestellt. Blutjung, er war erst 26-jährig.
Ein paar Jahre später kehrte er zurück nach Bern und machte in der Bundesverwaltung schnell Karriere. Insgesamt in drei Departementen war er Generalsekretär.
Thurnherr ist resistent, er hat Geduld, er kann zuhören, er kann vermitteln.
Politbeobachter Iwan Rickenbacher kennt Thurnherr schon lange, hat auch schon mit ihm zusammengearbeitet. «Er ist eine Ausnahme. Er ist resistent, er hat Geduld, er kann zuhören, er kann vermitteln», so Rickenbacher.
Nicht erstaunlich, wählten ihn die Parlamentarier 2015 zum obersten Beamten des Landes. 230 von 243 Stimmen bekam er – kein Bundesrat bekam so viele Stimmen.
Nicht Beamter, sondern Gestalter
Thurnherr wäre nicht Thurnherr, wenn er nicht Spass an der politischen Auseinandersetzung hätte. Es ist ein offenes Geheimnis in Bern, dass er gerne im Hintergrund die Strippen zieht. Er ist nicht einfach Beamter, der verwaltet, sondern einer, der gerne gestaltet. Dies sagt ein enger Mitarbeiter von ihm.
In den vergangenen Wochen musste der Bundeskanzler allerdings zu gleich zwei delikaten Angelegenheiten Stellung nehmen: Zu den falschen Zahlen im Abstimmungsbüchlein bei der Heiratsstrafe und zur zurückgezogenen Gesetzesrevision beim E-Voting. Der exzellente Schaffer im Hintergrund, plötzlich im Rampenlicht der Medien. Eine Rolle, die ihm offensichtlich nicht viel Mühe bereitet, denn reden, das kann er.
Er habe sich wohl schon etwas geärgert, das E-Voting-Projekt vorläufig sistieren zu müssen, sagt ein Beamter in Bern. Aber geschadet habe ihm das nicht. Ganz und gar nicht. Der Bundeskanzler geniesst das volle Vertrauen der Bundesräte. Wie sehr, zeigte sich, als die Magistraten ihn in diesem Juni nach Brüssel schickten, um bei der EU das Terrain vorzubereiten. Das Terrain für die Antwort des Bundesrates an die EU zum Rahmenabkommen.
Einflussreicher Tiefstapler
Ein Beamter mit so viel Einfluss – schadet das der Schweiz? Nicht mal der Präsident der sonst verwaltungskritischen SVP beschwert sich, wenn es um Walter Thurnherr geht. «Auch Beamte können gute Arbeit leisten», sagt Albert Rösti. «Der Herr Bundeskanzler Thurnherr braucht den Einfluss richtig, indem er diesen nicht auf die eine oder andere Seite missbraucht.»
Thurnherr entscheide nach Überzeugung, so Politbeochter Rickenbacher, nicht nach Parteifarbe. Gerade deshalb sei er wohl auch bei den Politikern so beliebt.
Doch obwohl Thurnherr in allen Departementen seine Fäden spinnt – «von Macht redet er selber nicht gerne», sagt Rickenbacher. «Er nennt es selber lieber: etwas Einfluss nehmen.»