Auf dem Bundesplatz blasen Musiker in ihre Alphörner. Fahnenschwinger Alain Meuwly hält eine Freiburger Flagge hoch und strahlt: «Es ist eine grosse Ehre für unseren recht kleinen Kanton. Es ist etwas Grossartiges!»
Etwas später, drinnen im Bundeshaus, verkündet Nationalratspräsident Dominique de Buman: «Gewählt ist, mit 190 Stimmen, Alain Berset.» Der neu Gewählte schreitet ans Mikrofon und bedankt sich: «Diese Wahl ist eine grosse Ehre und ein grosser Auftrag. Ich werde all meine Kräfte bündeln, um diesem Land und seiner Bevölkerung zu dienen.»
Es ist die Krönung einer steilen und glänzenden Politkarriere. Mit 31 Jahren Ständerat, mit 39 Bundesrat und nun, mit 45, Bundespräsident.
Ein politischer Überflieger
Alain Berset ist der Spross einer Freiburger Politfamilie. Der Grossvater war Gewerkschafter, die Mutter ist SP-Grossrätin. Er lebt im Freiburgischen Belfaux, mit Eltern, Ehefrau und drei Kindern im gleichen Haus, wo er aufgewachsen ist.
Der Welschfreiburger – der einst erwog, Diplomat zu werden – wird im nächsten Jahr die Schweiz auf dem internationalen Parkett vertreten, somit auch die Beziehungen zu der EU mitprägen.
Er sagt: «Unser Platz ist auch geographisch im Zentrum Europas. Wir müssen eine Stabiltät und eine Entwicklung in unseren Beziehungen unterstützen und befürworten können.» Dafür brauche es aber natürlich eine «grosse Debatte» im Inland, so Berset: «Der Bundesrat hat immer wieder gezeigt, in welche Richtung er gehen will. Dabei müssen wir aber alle mitnehmen.»
Ein typischer Berset-Satz: Ausschweifend, moderat, unumstritten. Er ist kein Blender, sondern ein konsensorientierter Politprofi, ein Schaffer. Der stets adrett auftretende Politiker bietet keine Angriffsflächen. Das verleitet Bürgerliche oft dazu, ihn zu unterschätzen. Ein Jahr nach seiner Wahl in den Bundesrat stellt die freisinnige NZZ überrascht fest, dass Berset als Bundesrat eine sozialdemokratische Agenda verfolge.
Schwere Kämpfe in der Sozial- und Gesundheitspolitik
Dies tat der Sozialminister von Beginn weg: Er nahm es mit den Krankenkassen, den Pharmafirmen, den Ärzten auf. So hat er eine Krankenkassen-Aufsicht geschaffen, Medikamentenpreise gesenkt, den Ärztetarif reformiert. Einsparungen gab es – aber dann doch nicht ausreichend. Die Krankenkassenprämien steigen weiter an, wie Berset bereits 2014 erklärte:
Ich sage es hier und jetzt: Die Kosten steigen, die Prämien steigen – und sie werden weiter steigen.
Seine grösste Niederlage erlitt Berset im vergangenen September: das Scheitern der Rentenreform. Sechs Jahre lang arbeitete er an ihr, reiste landauf landab, kämpfte für ein Ja an der Urne.
Am Wahlabend, der Stunde der Wahrheit, zuckt er kaum mit der Wimper, will das Nein zur Rentenreform nicht als persönliche Niederlage beschreiben: «Das sehe ich nicht so. Ich habe mich immer schon sehr leidenschaftlich für die Politik engagiert. Das ist nichts Neues. Aber es ist klar, dass die Vorlage eine grosse Bedeutung hat.» Er werde hochmotiviert weiterarbeiten, versprach Berset.
Dann der Moment, als Alain Berset die Bundeshaustreppe hinunter zur Feier schreitet. Fahnenschwinger Meuwly steht am Geländer Spalier. Er ist stolz auf seinen Bundesratspräsidenten: «Ja, und er ist sogar noch jung», sagt Meuwly und eilt in Stellung. Er wirft die Freiburger Flagge hoch in die Luft unter der Bundeshauskuppel.