Der Bundesrat ergreift weitreichende Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus: Das öffentliche Leben wird stark eingeschränkt. Bundesrat Alain Berset äussert sich im Interview zu den Auswirkungen.
SRF: Herr Berset, der Bundesrat hat heute die Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus noch einmal drastisch verschärft, das macht vielen Leuten Angst. Muss man Angst haben?
Alain Berset: Nein, es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Und Angst hilft auch nicht, die richtigen Massnahmen zu treffen. Wir müssen sehen: Die Situation ist ernst, aber wir wissen auch, was wir dagegen machen können. Der Bundesrat hat immer gesagt, dass wir vulnerable Bevölkerungsgruppen schützen müssen – ältere Menschen, Menschen mit einer Vorerkrankung oder behinderte Menschen. Ausserdem müssen wir auch die Gesundheitseinrichtungen schützen. Dafür braucht es Massnahmen, die die ganze Gesellschaft betreffen.
Reichen die Massnahmen, die Sie heute beschlossen haben, um dieses Ziel zu erreichen?
Ja, wenn die Bevölkerung die Empfehlungen auch wirklich umsetzt. Es wird die Gesellschaft bremsen – es wird weniger soziale Kontakte geben. Das ist nicht lustig. Aber weniger soziale Kontakte bedeuten weniger Übertragung des Virus. Die Verlangsamung der Gesellschaft wird uns helfen, die Kranken gut zu betreuen und zu heilen. So bleibt das Gesundheitssystem handlungsfähig.
Eine drastische Massnahme ist die Schliessung der Schulen – auch der Primarschulen. Bis gestern wollte der Bundesrat das noch vermeiden. Es hiess, man will nicht, dass Kinder durch die Grosseltern betreut würden. Jetzt haben Sie diesen Schritt trotzdem gemacht. Warum?
Gerade, weil es ein neues Virus ist. Gestern wurde eine neue Studie publiziert, die zeigt, dass es in der Tat richtig ist, Schulen zu schliessen. Gleichzeitig muss man sagen, dass die Betreuung nicht von den Grosseltern geleistet werden soll. Das wäre wirklich sehr schwierig und auch sehr gefährlich für die Grosseltern – schliesslich sind sie eine vulnerable Gruppe. Gleichzeitig versuchen wir mit der Betreuung von kleinen Kindern die Übertragung des Virus im Mix der Generationen möglichst zu verhindern.
Sie sagen, die Kantone sind jetzt in der Verantwortung, Betreuungsangebote aufzustellen. Was ist denn der Unterschied, wenn die Kinder bei solchen Angeboten sind anstatt in der Schule?
Wir gehen davon aus, dass die Mehrheit der Kinder innerhalb der Familie eine gute Lösung findet. Die ganze Gesellschaft wird in den nächsten Tagen und Wochen bremsen. Aber für Eltern, denen es nicht möglich ist, ihre Kinder zu betreuen, muss es Betreuungsangebote geben. Das müssen Angebote sein, bei denen die Hygienemassnahmen und die Empfehlungen zum Abstandhalten respektieren werden. Das heisst: weniger Kinder im Raum und mehr Abstand zwischen den Menschen. So kann man die Übertragung des Virus so gut wie möglich verhindern.
Die Wirtschaft wird durch das Coronavirus in Mitleidenschaft gezogen – auch durch die harten Massnahmen. Der Bundesrat hat heute beschlossen, der Wirtschaft mit 10 Milliarden Franken zu helfen. Das ist viel Geld. Die Frage ist trotzdem: Wird es reichen?
Ja, es ist viel Geld. Wir wollen damit zeigen, dass wir das sehr ernst nehmen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind nicht nur wegen der Massnahmen vom Bundesrat so gross. Weltweit hat sich die Situation bereits negativ entwickelt. Nur schon das muss uns zum Reagieren bringen.
Es gibt viele Unternehmungen, Veranstalter und Gruppenorganisationen, die unter der Situation leiden. Natürlich ist uns das nicht gleichgültig. Im Gegenteil. Wir wollen auch zeigen, dass wir da sind, diese Unternehmen zu begleiten.
Reichen die 10 Milliarden Franken?
10 Milliarden ist nicht nichts. Das ist sehr viel Geld. Ausserdem gibt auch viele Massnahmen, die die Kantone schon beschlossen haben. Das Signal muss sein: Wir bekämpfen das Virus – aber es ist nicht egal, was durch die Massnahmen passiert. Im Gegenteil. Wir versuchen, den Schaden so klein wie möglich zu halten. Die Gesundheit der Bevölkerung hat oberste Priorität für den Bundesrat – und letztlich auch für die Unternehmungen und für die Wirtschaft.
Das gesellschaftliche Leben wird in den nächsten Wochen oder vielleicht sogar Monaten heruntergefahren. Ältere Menschen werden vielleicht kaum noch Besuch bekommen, auch Altersheime sind betroffen. Gibt es einen bundesrätlichen Ratschlag, wie wir diese Zeit überstehen sollen?
Es ist nicht einfach. Die Situation ist nicht nur in der Schweiz so, auch andere Länder haben ähnliche Herausforderungen. Ich glaube, wir müssen sehen, dass wir Erfolg haben können, wenn wir alle zusammenstehen. Dafür braucht es aber Solidarität. Jüngere Menschen könnten sich fragen, warum sie die Massnahmen umsetzen sollen, da sie ja gar nicht stark betroffen sind. Doch hier geht es um den Schutz von vulnerablen Bevölkerungsgruppen – es geht um den Schutz von älteren Menschen. Und diese haben es verdient, dass wir alles unternehmen, um sie zu schützen.
Herr Bundesrat, Sie sind jetzt seit Wochen mit diesem Thema beschäftigt. Heute Abend hoffen Sie, dass man das Schlimmste verhindern kann. Wie steht es mit diesen Hoffnungen?
Wir haben alles unternommen, damit wir eine gute Situation haben. Aber es wird schwierig. Wir wissen, es lässt sich nicht verhindern. Die Frage ist, was können wir tun, als Einzelpersonen aber auch als Gesellschaft, damit wir die Verbreitung des Virus verlangsamen können, damit wir eine gute Behandlungsmöglichkeit für alle Menschen in unserem Land sichern können. Wir haben alles gemacht, was wir können. Aber wir müssen darauf zählen können, dass alle Menschen die Empfehlungen respektieren.
Das Gespräch führte Gion-Duri Vincenz.