Am 5. Dezember 1979 wurde der Bündner Leon Schlumpf als Nachfolger von Rudolf Gnägi für die SVP in den Bundesrat gewählt. Er erzielte fast doppelt so viele Stimmen wie der zweite SVP-Mann auf dem Kandidatenticket, der Berner Werner Martignoni.
Diese Bundesrats-Ersatzwahl vor 35 Jahren war in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens wurde die umstrittene Dauerpräsenz des Kantons Bern in der Landesregierung beendet. Und zweitens sei es das erste Mal überhaupt gewesen, dass eine Bundesratspartei mit einer Zweierkandidatur bei einer Bundesratsvakanz angetreten sei, sagt der Politologe Georg Lutz. Dies war ein Novum in der neueren Geschichte des Bundesstaates.
60 Jahre lang bloss Einertickets
Lutz hat die vergangenen 100 Jahre in Sachen Bundesrats-Ersatzwahlen genau angeschaut. Sein Fazit: Es gab zwei Phasen. In der ersten Phase zwischen 1919 und 1979 hätten die Parteien immer eine einzelne Person als Bundesratskandidaten nominiert. «Aber die Vereinigte Bundesversammlung hat sich immer wieder die Freiheit genommen, nicht die offiziellen Kandidaten zu wählen», stellt der Politologe fest.
So wurde in fast jedem fünften Fall der insgesamt 70 Bundesrats-Neuwahlen nicht der offizielle Kandidat der Fraktion und Partei gewählt. Alle grossen Parteien waren von diesem Vorgehen der Vereinigten Bundesversammlung mehrmals betroffen.
In der zweiten Phase, ab den 1980er-Jahren, setzten die Parteien immer mehr auf Zweiertickets. Ausschlaggebend dafür war die Nichtwahl der offiziellen SP-Kandidatin Lilian Uchtenhagen 1983. An ihrer Stelle wählte die bürgerliche Mehrheit in der Vereinigten Bundesversammlung den Solothurner Otto Stich in die Landesregierung.
Wahl zwischen zwei SP-Frauen
Und zehn Jahre später verschmähte das Wahlkollegium die offizielle SP-Kandidatin Christiane Brunner. An ihrer Stelle wählte es den Neuenburger Francis Matthey, der die Wahl – unter Druck der Partei – jedoch ablehnte. Eine Woche später schaffte es die SP dann doch noch – mit einem Zweierticket. Darauf standen die Namen Christiane Brunner und Ruth Dreifuss, letztere wurde dann schliesslich auch gewählt.
Seither gilt das Zweierticket als Erfolgsgarant. «Für die Parteien ist das strategisch geschickt», so Politologe Lutz. Zwar hätten sie so offiziell etwas weniger Spielraum, weil sie nicht allein bestimmen könnten, wer in den Bundesrat gewählt werde. Andererseits verhindere das Zweierticket aber, dass ihnen die anderen Parteien einen Bundesrat vorsetzten, den sie nicht offiziell nominiert hatten.
Die eine berühmte Ausnahme, die bekanntlich die Regel bestätigt, gab es freilich auch: Bei der Nachfolge von Bundesrat Adolf Ogi im Dezember 2000 hiessen die offiziellen SVP-Kandidaten Roland Eberle und Rita Fuhrer. Gewählt wurde allerdings Samuel Schmid.
Zum zweiten Mal ein Dreierticket
Jetzt will der SVP-Fraktionsvorstand sogar mit einem Dreiervorschlag antreten. Allerdings sei auch dies keine Premiere, winkt Lutz ab. «Das hatten wir schon – als Flavio Cotti zurücktrat.» Die CVP trat bei der Wahl für die Nachfolge des Tessiners 1999 mit Joseph Deiss, Adalbert Durrer und Remigio Ratti an – aus jedem Landesteil und jeder Sprachregion ein Kandidat. Das Rennen machte schliesslich Deiss.
Heute jedoch winkt die SVP nicht bloss mit einem Dreierticket, sie droht gleichzeitig mit einem Parteiausschluss für nicht offizielle SVP-Kandidaten, dalls sie ihre Wahl annehmen. So macht die Volkspartei doppelt Druck: Einerseits erhöht sie den Druck auf die eigenen Parteimitglieder, andererseits aber auch auf die anderen Parteien. «Sie werden sich sehr gut überlegen müssen, ob sie die politische Krise heraufbeschwören wollen, oder lieber das kleinere Übel wählen – einen offiziellen Kandidaten», analysiert Lutz die Strategie.
Die Qual der Aus-Wahl hat die Vereinigte Bundesversammlung am 9. Dezember.