Das Votum war klar und deutlich. Zwei von drei St. Galler haben Ja zum Verhüllungsverbot gesagt. Überhaupt nicht klar und deutlich ist nun aber, wie dieses Verbot umgesetzt werden kann. Es scheitere vor allem am Text und an den Begriffen, erklärt der Rechtsexperte Bernhard Ehrenzeller – und kritisiert, dass dies der Willkür Tür und Tor öffne.
SRF News: Reicht die Formulierung des Verhüllungsverbotes?
Bernhard Ehrenzeller: Dieses Gesetz hat unbestimmte Rechtsbegriffe wie zum Beispiel ‹öffentliche Sicherheit› und ‹gesellschaftlicher› oder ‹religiöser Frieden›. Diese muss man im Einzelfall auslegen, und die Regierung muss noch die Bussenhöhe festlegen. Theoretisch kann man es anwenden.
Sie sagen, theoretisch?
Das Problem ist, dass es sehr, sehr offene Begriffe sind. Man hat sie zwar in der Bundesverfassung, wenn zum Beispiel Religionsgemeinschaften den religiösen Frieden stören. Der sogenannte ‹gesellschaftliche Frieden› ist aber bisher nicht einmal erwähnt, geschweige denn definiert worden. Es ist deshalb ausserordentlich schwierig, diese Begriffe rechtlich in eine handhabbare Umschreibung zu erfassen.
Können denn die Polizisten auf der Strasse mit diesem neuen Gesetz überhaupt umgehen?
Ich denke nicht. Und ich finde es auch unfair, wenn man dem einzelnen Polizisten überlässt, ob er jemanden anhalten und büssen soll. Kann diese Person – zum Beispiel eine Burkaträgerin – überhaupt den religiösen Frieden stören? Das ist nicht einfach zu beurteilen. Da müsste die Polizei mindestens intern gewisse Richtlinien entwickeln und dem einzelnen Polizisten Vorgaben machen.
Besteht da nicht die Gefahr von Willkür?
Wenn nicht intern klare Richtlinien festgelegt wurden, dann kann das tatsächlich zu Willkür führen.
Wann ist denn der religiöse oder gesellschaftliche Friede gestört?
Sicher nicht, wenn einzelne Personen kommen, die sich an einer Burkaträgerin stören. Dafür sind die Begriffe zu gross. Wenn aber im Einzelfall die öffentliche Sicherheit gefährdet ist, kann man heute schon handeln.
Also kann ich nicht eine Anzeige machen, wenn ich mich bedroht fühle?
Sie dürfen immer eine Anzeige machen. Wenn die Situation allerdings vorbei ist, ist es schwierig, das nachträglich zu beurteilen. Und wenn, dann müsste die Polizei belegen, warum der religiöse Friede gefährdet ist. Es reicht nicht, dass Sie sich gestört fühlen.
Wer entscheidet das schliesslich?
Am Schluss wird das beim Richter enden. Ich will aber sagen, dass dieses Gesetz sehr schlecht formuliert ist.
Also ist es ein Scheingesetz?
Man hat diesen Eindruck. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser Tatbestand je gegeben sein wird.
Das Gespräch führte Reto Hanimann.