Das wichtigste in Kürze:
- Carnauba-Wachs kommt in unzähligen Produkten vor. Es wird von Palmen gewonnen, die nur in Brasilien wachsen.
- Erntehelfer arbeiten dort oft unter sklavenähnlichen Bedingungen.
- Eine «Kassensturz»-Umfrage zeigt: Die Problematik ist bei Schweizer Carnauba-Verarbeitern kaum bekannt.
- Zertifikate für nachhaltiges Carnauba sind umstritten. Sie garantieren nicht, dass die Unternehmen und die Produzenten den gesetzlichen Anforderungen genügen.
Kaum einer kennt es, doch im Alltag kommt man nicht darum herum: Carnauba-Wachs. Deklariert auch als Copernicia cerifera cera oder E 903, steckt es in unzähligen Produkten. Mascara gibt es die nötige Konsistenz, dem Parkett verleiht es Glanz und Gummibärchen kleben dank diesem Wachs nicht zusammen. Die Palme, welche das Wachs produziert, wächst ausschliesslich im Nordosten von Brasilien. Das Wachs überzieht die Palmwedel und verhindert so deren Austrocknen.
Sklavenähnliche Zustände für Erntehelfer
Die Palme wächst wild. Pächter pachten Landabschnitte und stellen für die Ernte Arbeiter aus der Region an. Die Carnauba-Industrie bietet rund 200`000 Arbeitern während der Erntezeit von Juli bis Dezember ein Einkommen.
In mühseliger Handarbeit gewinnen die Arbeiter die Palmblätter und verarbeiten sie zu Wachs. Eine «Kassensturz»-Reportage vor Ort zeigt: Ein Grossteil des Wachses wird unter illegalen Bedingungen geerntet und verarbeitet. In der Carnauba-Industrie seien sklavenähnliche Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung, kritisieren Behörden und Gewerkschaften.
Weder Schlafplatz, noch Toilette oder Unfallschutz
Gewerkschafter Oswaldo Aguiar spricht von entwürdigenden Arbeitsbedingungen: «Die Arbeiter schlafen draussen auf dem Feld oder in heruntergekommenen Hütten». Auf vielen Carnauba-Farmen fehle es an Grundlegendem: Weder Betten noch Toiletten oder einen Tisch gäbe es für die Arbeiter. Diese müssten auf offenem Feld im Dreck essen. Die Carnauba-Arbeiter müssten ohne Schutzkleidung und auf eigene Gefahr hin auf den Feldern arbeiten. Kranken- oder Unfallversicherungen gäbe es nicht, denn kaum ein Pächter oder Farmbesitzer schliesse Verträge mit den Arbeitern ab. «Wenn ein Unfall passiert, ist niemand verantwortlich», so Aguiar.
Rund 80 Prozent des Carnauba-Wachses werde unter solchen Bedingungen hergestellt. Immer wieder müssen die Behörden wegen unhaltbaren Zuständen eingreifen. Und regelmässig werden in Razzien Carnauba-Arbeiter aus solchen Bedingungen befreit.
Probleme bei Schweizer Unternehmen kaum bewusst
Die Problematik ist hierzulande praktisch unbekannt. Das zeigt eine Umfrage von «Kassensturz» bei 40 Unternehmen. Brisant: Kaum ein Unternehmen kann seine Lieferkette bis zu den Farmen zurückverfolgen.
Migros schreibt: «Bisher haben wir die Beschaffung dieses Rohstoffes noch nicht vertieft analysiert, denn wir beziehen im Vergleich zu anderen Rohstoffen nur geringe Mengen – und diese nicht direkt, sondern über verschiedene Lieferanten.»
Coop schiebt die Verantwortung auf die Lieferanten: «Wir erwarten, dass alle unsere Geschäftspartner die gesetzlichen Vorgaben auch in Bezug auf Sozialstandards bei sich und in den vorgelagerten Stufen vollumfänglich einhalten...»
Und Novartis schreibt: «Die Substanz Carnauba-Wachs wird bei Novartis nur in sehr kleinen Mengen als Hilfsstoff im Beschichtungsprozess einiger Tabletten angewendet.» Wieviel Carnauba-Wachs Novartis verarbeitet, gibt der Multi nicht bekannt.
Umstrittene Zertifikate
Viele Unternehmen verweisen auf Nachhaltigkeits-Zertifikate. Siegel wie «Sustainable Carnauba» sollen garantieren, dass für die Arbeiter faire Bedingungen gelten. Aber: «Es existiert kein Zertifikat, das garantiert, dass die Unternehmen und die Produzenten den gesetzlichen Anforderungen genügen», sagt Sergio Carvalho vom brasilianischen Arbeitsamt. Damit sich die Verhältnisse für die Arbeiter in Brasilien ändern, nimmt er auch die Unternehmen in Übersee in die Verantwortung: «Wir sind davon überzeugt, dass sich dieses Problem nur lösen lässt, wenn sich alle beteiligten Firmen vollumfänglich dafür einsetzten», so Carvalho.