Gute und weniger gute Nachrichten wechseln sich in der Pharmabranche momentan fast täglich ab. Auch in der Produktion eines Covid-19-Impfstoffs läuft nicht alles rund. René Buholzer, CEO von Interpharma, spricht im «Tagesgespräch» über die Kritik am Patentschutz und ob eine Impfstoffproduktion in der Schweiz sinnvoll wäre.
SRF News: René Buholzer, vor einem Jahr haben Sie gesagt: Vor Frühling 2021 wird es keinen Impfstoff gegen Covid-19 geben. Warum haben selbst Sie sich getäuscht, als Verbandschef der forschenden Pharmaindustrie?
René Buholzer: Ich glaube, ich habe das Potenzial der mRNA-Technologie unterschätzt. Die Technologie wurde zwar vor zehn Jahren entwickelt, bisher wurde aber weder ein Impfstoff noch ein Medikament auf dem Markt zugelassen. Auch die Schnelligkeit, die man mit dieser neuen Technologieplattform erreicht hat, hatte ich nicht auf dem Radar.
Moderna hat zwei Milliarden Dollar investiert, aber 4.2 Milliarden waren öffentliche Gelder der US-Steuerzahler. Es gibt die Forderung, dass die Patente darum auch der Allgemeinheit zugutekommen. Die Pharmaindustrie wehrt sich aber dagegen. Warum?
Bei der Impfstoffentwicklung ging es darum, Geschwindigkeit zu gewinnen. Die staatlichen Gelder wurden vor allem dafür eingesetzt, die Produktion und die Phasen der Forschung parallel zu schalten. Das ist ein enormes Risiko, das private Investoren nicht eingehen würden. Zuerst will man wissen, ob ein Impfstoff funktioniert, bevor dafür eine Produktionsanlage gebaut wird.
Wir konnten einfach nicht schneller Produktionskapazitäten aufbauen.
Zudem sind Patentrechte nicht der Hemmschuh für die grosse Nachfrage an den Covid-19-Impfstoffen. Wenn Sie nur ein Kochrezept haben, aber keine Zutaten und keinen Backofen, nützt Ihnen das auch nichts. Daher ist dies der falsche Punkt, um anzusetzen. Wir konnten einfach nicht schneller Produktionskapazitäten aufbauen.
Aber Unternehmen machen damit Milliardenprofite. Wenn die Patente so nebensächlich sind, könnten sie ja darauf verzichten?
Die Firmen geben diese Sachen zu einem wesentlichen Teil ohne Profit heraus. Man darf nicht vergessen: Wir sprechen nur über die, die auch erfolgreich sind. Wir hatten mehrere hundert Impfstoffkandidaten im Rennen. Als die mRNA-Technologie erfunden wurde, hat man Risikokapital eingesetzt. Dieses hätte es ohne Patentschutz nicht gegeben. Davon konnten wir profitieren.
In der Schweiz wird für den Impfstoff von Johnson & Johnson geforscht, der hier auch zugelassen ist. Nun wurden Fälle bekannt, bei denen es zu Blutgerinnsel gekommen ist. Ist es ein Glücksfall oder ein Fehler, dass der Bund keine Impfstoffe von J&J gekauft hat?
Ich möchte diese Fälle nicht überbewerten. Trotzdem muss man es ernst nehmen und analysieren. Die Schweizer Impfstoffbeschaffungsstrategie war auf Diversität ausgerichtet. Das war richtig. Es wäre natürlich ein starkes Zeichen gewesen, den Impfstoff, den die Schweiz mitentwickelt hat, der Bevölkerung zugänglich zu machen. Aber man musste diese Entscheide treffen, als man noch nicht wusste, welcher Wirkstoff erfolgreich ist.
Bedauert Interpharma den Entscheid?
Wir wissen, dass uns jeder Tag im Shutdown zwischen 25 und 100 Millionen pro Tag kostet. Da glaube ich, hätte man grosszügiger sein und mehr Risiko auf Impfstoffe setzen können, die vielleicht nicht funktionieren oder die man dann gar nicht benutzt hätte.
Die Universität Zürich hat 2018 postuliert, die Schweiz müsste im Hinblick auf eine mögliche Pandemie eigenen Impfstoff produzieren können. Hat man zu lange weggeschaut?
Ja, das kann man kollektiv sagen. Wir alle hätten 50 Masken zu Hause haben sollen. Man hat die unangenehme Wahrheit definitiv vor sich hergeschoben. Wichtig ist aber: Das Thema Versorgungssicherheit heisst nicht Selbstversorgung. Impfstoffe sind hochkomplex und können nicht rein national produziert werden. Aber dass man ein grösseres Augenmerk auf die Versorgungssicherheit lenken muss, das wurde völlig klar.
Economiesuisse fordert, dass in der Schweiz mehr Impfstoffe hergestellt werden. Was ist die Haltung von Interpharma?
Für uns steht im Vordergrund, dass wir uns wieder stärker auf den Patienten konzentrieren und den Zugang zu neuen Medikamenten und Therapien schnell zur Verfügung stellen. Da haben wir ein grosses Problem mit der Vergütungspolitik des BAG. Auch in der Digitalisierung müssen wir ganz klar vorankommen. Die Bedeutung von Daten in der Forschung, aber auch in der Prävention und Behandlung ist enorm. Da sind wir leider eher in der Steinzeit als im 21. Jahrhundert. Und wir müssen für offene Märkte sorgen – dafür brauchen wir ein geregeltes Verhältnis mit der EU.
Das Gespräch führte Karoline Arn.