Ein Gebäude mitten in der Stadt Bern – unten ein Café, in den oberen Etagen, etwas zusammengewürfelt, verschiedene Büroräume. Es gibt klassische Arbeitsplätze mit Computern, aber auch ein Malatelier oder eine kleine Werkstatt. Es ist einer dieser neuen Co-Working-Spaces, die in jüngster Zeit so zahlreich entstanden sind. Verschiedene Leute aus verschiedenen Branchen mieten sich ein und teilen sich die Räume. Software-Entwickler, Blogger, Künstlerinnern und – das Spezielle in diesem Fall – auch Schülerinnen und Schüler.
Co-Learning Effinger heisst das Konzept. Neben den Erwachsenen mieten sich hier auch sieben Jugendliche ein. Sie sollen an eigenen Projekten arbeiten, dabei den Erwachsenen aber auch über die Schultern schauen.
Das Schreiben hat mir bereits geholfen, meine Rechtschreibung zu verbessern.
Einer von ihnen ist der 14-jährige Jonathan. Seit anderthalb Jahren kommt er in den Effinger, an vier Tagen die Woche. Morgens um sieben Uhr ist er jeweils der erste im Büro, er bleibt bis Mittag und schreibt in dieser Zeit an seinem Buch. Wenn es fertig ist, zeigt er es jemandem vom Co-Working-Space. «Ich habe eine Bloggerin und Texterin angefragt, die ziemlich gut draus kommt», meint der junge Autor.
Das Schreiben habe ihm geholfen, seine Rechtschreibung zu verbessern, er sei auch deutlich schneller am PC geworden. Den restlichen Schulstoff wie Mathematik oder Französisch lernt er zu Hause.
Homeschooling-Projekt
Alle Jugendlichen, die in den Effinger kommen, sind Homeschooling-Kinder. Wie der 13-jährige Joscha, der zweimal pro Woche im Effinger an einem Film arbeitet. Zu Hause wird er von seiner Mutter unterrichtet, die sagt: «Ich habe nichts gegen die Volksschule.» Sie sei selbst Lehrerin an der Volksschule und ihr zweiter Sohn gehe auch dort in den Unterricht. «Für Joscha aber ist dies nicht ideal», sagt Mutter Sibylle Tschanz.
Darum sei es gut, gebe es Strukturen wie den Effinger. Ihr Sohn Joscha habe hier Inspirationen fürs Leben und komme mit verschiedenen Berufen und Menschen in Kontakt. Das Co-Learning im Effinger ist für Kinder wie Joscha und Jonathan eine Ergänzung zum Homeschooling – eine Art Homeschooling-Projekt.
Dass die Kinder den Erwachsenen Fragen stellen, sie um Hilfe bitten – ist das nicht anstrengend, wenn man selbst am Arbeiten ist? Nein, findet Isabel Jakob, die jeden Freitag im Effinger malt. «Oft muss man sich nicht sehr viel Zeit für die Kinder nehmen», sagt sie. Es sei beeindruckend zu sehen, was die Kinder von sich aus machten. Von deren Tatendrang könne auch sie sich ein Stück abschneiden.
Bauernhöfe als Beispiel
Marco Jakob ist einer der Gründer des Co-Learnings. Er vergleicht das Projekt mit Kindern, die auf dem Bauernhof aufwachsen. «Mein Göttibub lebt auf einem Bauernhof. Er weiss, welche Getreide auf den Feldern wachsen, wann was geerntet werden muss», sagt er. Er habe dadurch das Gespür fürs Wirtschaften, wisse was es heisst, zu arbeiten.
Schüler sollen schon früh einen Einblick in die reale Arbeitswelt erhalten.
Diesen Bezug zur Arbeitswelt habe man in der Schule nicht, sagt Marco Jakob, der selber selbstständiger Software-Entwickler, aber auch Berufsschullehrer ist. Den Einblick in die Arbeitswelt, den man im Schulzimmer theoretisch lerne, entspreche nicht unbedingt der Realität.
Seine Vision ist es, dass nicht nur weitere solche Co-Working-Spaces eröffnet werden, sondern gleich ganze Co-Working-Schulhäuser entstehen. «Dort sollte es etwa gleich viel Platz für Erwachsene wie für Kinder geben», sagt er. Damit es einen Austausch gäbe, ähnlich wie bei Kindern auf dem Bauernhof.