Es sind Todesfälle von politischer Brisanz, die noch heute nicht restlos geklärt sind. Es sind sogenannte «Cold Cases», also ungelöste Kapitalverbrechen oder Vermisstenfälle. Sie handeln von angeblicher Vertuschung durch Behörden, fragwürdigen Zugeständnissen an Terrororganisationen und von zweifelhaften Ermittlungen.
Immer wieder ist es in der jüngeren Schweizer Geschichte zu Kriminalfällen gekommen, die politisch geprägt waren: Sei es, weil internationale Konflikte auf Schweizer Boden weitergeführt wurden. Oder weil sie Ausdruck innenpolitischer Spannungen waren – mit tödlichen Folgen.
Am 24. April 1990 sitzt Kazem Rajavi am Steuer seines Autos, auf dem Weg von Genf nach Hause. Kurz davor nähert sich ein Auto von hinten, überholt und rammt Rajavis Wagen. Ein weiteres Auto taucht vor ihm auf, die tödlichen Schüsse fallen...
Im September 1977 bricht der 21-jährige Rudolf Flükiger vom Waffenplatz Bure zu einem nächtlichen Postenlauf auf – und verschwindet. Wochen später wird er von einem Jäger auf französischem Boden gefunden. War es Selbstmord, wurde er entführt oder gar von Separatisten ermordet?
Am 18. Februar 1969 schiessen am Flughafen Zürich vier Attentäter der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) auf ein Flugzeug der israelischen ElAl. Der Copilot und ein Attentäter sterben, aber die Schweizer Regierung sorgt für weitere Aufregung...
Der Jurist Kazem Rajavi kämpfte aus dem Exil in der Schweiz gegen Menschrechtsverletzungen im Iran wie willkürliche Verhaftungen und Folterungen. Mit Kampagnen machte er auf die Folter im Iran aufmerksam.
Am 24. April 1990 sitzt Rajavi am Steuer seines Autos, auf dem Weg nach Hause in Coppet/VD. Kurz davor nähert sich ein Auto von hinten, überholt und rammt Rajavis Wagen. Ein weiteres Auto taucht vor ihm auf, blockiert den Weg. Die tödlichen Schüsse fallen.
Wer für den Mord verantwortlich ist, ist rasch ermittelt: ein 13-köpfiges Kommando des iranischen Geheimdienstes hatte die Tat wochenlang vorbereitet und dann ausgeführt, ausgestattet mit diplomatischen Pässen.
Historiker Adrian Hänni sagt, gezielte Tötungen oppositioneller Politiker im Exil habe System. Der Kampf zwischen der iranischen Regierung und den Volksmujaheddin, denen Rajavi angehörte, tobe weiter, finde auch auf europäischem Boden statt:
Vor ein Schweizer Gericht wird allerdings keiner der mutmasslichen Täter gestellt. Dies auch, weil Frankreich sich weigert, zwei der Verdächtigen, die zeitweise in Frankreich in Haft sind, an die Schweiz auszuliefern. So gelingt allen 13 letztlich die Flucht zurück in den Iran.
Für die Mitstreiter des Opfers ist der Fall damit nicht abgeschlossen. Vor Gericht haben sie erkämpft, dass die Sache nicht ad acta gelegt wird: Die Bundesanwaltschaft muss sich nun des Falls annehmen, neu auch unter dem Aspekt eines möglichen Völkermordes an Tausenden iranischen Oppositionellen.
Im September 1977 bricht der 21-jährige Rudolf Flükiger vom Waffenplatz Bure zu einem nächtlichen Postenlauf auf – und verschwindet. Wochenlang wird nach dem Berner Offiziersaspiranten gesucht. Gefunden wird er von einem Jäger auf französischem Boden, 12 Kilometer vom Waffenplatz entfernt. Später wird die offizielle Todesursache bescheinigt: Selbstmord.
An einen Selbstmord will die Familie damals nicht glauben, und glaubt es auch heute nicht. Die Angehörigen sind damit nicht allein: zahlreiche private Ermittler, Journalistinnen und Historiker haben sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder an dem Fall die Zähne ausgebissen. Aktuell recherchiert der Regisseur Werner Schweizer für einen neuen Dokumentarfilm, und der Schriftsteller Daniel de Roulet hat sich in seinem kürzlich erschienen Buch «Staatsräson» (Limmat Verlag) mit den damaligen Ereignissen befasst.
Die vielen offenen Fragen zum mysteriösen Verschwinden vom Ruedi, die beschäftigen uns alle bis heute. Und wir haben einfach diesen schweren Schicksalsschlag und grossen Verlust von Ruedi annehmen müssen, und wieder vorwärts gehen. Und er fehlt uns bis heute.
Eine eindeutige Antwort, wie Rudolf Flükiger vor bald 45 Jahren ums Leben gekommen ist, fehlt auch heute noch. Eines halten aber Filmemacher Schweizer und Autor de Roulet, wie sie gegenüber SRF sagen, für höchst unwahrscheinlich: den Selbstmord.
Um die Frage, was damals in den jurassischen Wäldern nahe der Grenze zu Frankreich geschehen ist, ranken sich verschiedene Theorien:
Flükiger könnte auf seinem Lauf den damals flüchtigen Entführern des deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer begegnet sein, die ihn als Zeugen getötet haben könnten.
Die zweite Theorie: Er könnte per Zufall Schmuggler ertappt haben, die ihn für einen Grenzbeamten gehalten haben könnten.
Die dritte, innenpolitisch brisanteste Theorie: Für den Tod seien jurassische Separatisten verantwortlich. Sogenannte Béliers oder Sympathisanten könnten den Berner Soldaten Flükiger entführt haben, dabei sei er erstickt.
Diese Spur sei aber nicht näher verfolgt worden, die tödlich verlaufene Entführung könnte unter den Teppich gewischt worden sein. Dies, um den Frieden in der Schweiz nicht zu gefährden, da die nationale Abstimmung über die Gründung des Kantons Jura bevorstand.
Am 18. Februar 1969 schiessen am Flughafen Zürich vier Attentäter der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) auf ein Flugzeug der israelischen El-Al. Der Copilot und ein Attentäter sterben, mehrere Passagiere und Besatzungsmitglieder werden verletzt. Ein Israelischer Sicherheitsbeamter erschiesst einen der Attentäter, die anderen drei Attentäter lassen sich am Flughafen ohne Widerstand festnehmen.
Schon im November 1969 beginnt am Bezirksgericht Winterthur der Prozess gegen die drei Attentäter und den israelischen Sicherheitsmann. 150 Polizisten sind aufgeboten, Journalisten aus aller Welt berichten.
Das Gericht verurteilt die drei Attentäter wegen vorsätzlicher Tötung zu 12 Jahren Zuchthaus. Der israelische Sicherheitsbeamte wird freigesprochen. Doch sind mit dem Urteil die Schweizer Terrorjahre nicht vorbei.
Einige Monate später, im September 1970, entführen Kämpfer der PFLP ein Flugzeug der Swissair und zwei andere Maschinen in die jordanischen Wüste. Sie nehmen rund 400 Passagiere als Geiseln und verlangen die Freilassung von inhaftierten Palästinensern, unter anderem der drei Attentäter von Kloten.
Die Freilassung ist erfolgt, um die Sicherheit der Schweiz zu garantieren, um zu verhindern, dass es zu weiteren Anschlägen kommt. Man hat das höher gewichtet und den Rechtsstaat verletzt.
Am 12. September sprengen die Entführer die Flugzeuge. Mit der Zeit kommen sämtliche Geiseln frei. Nachdem auch die Schweizer Geiseln bereits frei sind, entscheiden die Zürcher Behörden und der Bundesrat, die drei verurteilten Terroristen freizulassen. In der Nacht auf den ersten Oktober werden sie aus der Haft entlassen und fliegen von Kloten nach Kairo.
Doch warum liessen die Behörden die Attentäter frei? Der Historiker Adrian Hänni zeigt sich gegenüber SRF überzeugt, dass damit die palästinensischen Terrororganisationen besänftigt werden sollten.
Die frühzeitige Freilassung der drei Attentäter scheint aber, wie die historische Forschung heute zeigt, nicht das einzige Mal gewesen zu sein, an dem die Schweizer Behörden mehr als ein Auge zudrückten: So wurden auch Hintermänner des Attentats von Kloten offenbar nie strafrechtlich verfolgt. Dies, obwohl sie den Behörden bekannt waren. Eine umfassende politische Aufarbeitung ist bis heute nicht erfolgt.
Alle Fälle schon durch? Dann gibt es zwei weitere spannende Fälle in der 10vor10 Sommerserie «Cold Cases: Ungeklärte politische Kriminalfälle in der Schweiz.»