Die Zahl der psychiatrischen Notfallkonsultationen hat seit Beginn der Krise um 50 Prozent zugenommen. Das meldet die Verbindung der Schweizerischen psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte.
Corona verstärkt die Negativspirale, in der sich viele Betroffene von psychischen Krankheiten befinden. «Momentan ist für mich besonders schwierig, die sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten oder neu anzuknüpfen», sagt ein Betroffener. Auch aus negativen Gedanken herauszukommen und eine sinnvolle Beschäftigung zu finden, falle ihm schwer.
Für Leute wie ihn gibt es die Zürcher Anlaufstelle Nordliecht. Diese öffnet nun früher, weil der Bedarf an Hilfe gestiegen ist. Die Fachmitarbeiterin der Anlaufstelle, Simone Aerni, sagt: «Viele waren vor der Krise stabil, mit Corona verschlechtert sich ihre psychische Situation». Das könne dazu führen, dass man wieder akut depressiv wird und dass man versuche, mit Alkohol oder Drogen zu kompensieren.
Viele waren vor der Krise stabil, mit Corona verschlechtert sich ihre psychische Situation
Besonders Jugendliche sind betroffen
Kinder- und Jugendlichen gehören bereits zu einer gefährdeten Gruppe, weil sie sich in einer vulnerablen Entwicklungsphase befinden. Das sagt Dagmar Pauli, Leiterin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie: «Und wenn sie jetzt zum Beispiel Konflikte zu Hause haben und sich wegen Corona nicht mit Gleichaltrigen treffen können, dann kann sich das zuspitzen.»
Ein Teil der jugendlichen Sorgen landet bei der Telefonberatung 147 von Pro Juventute. Viel geht es dabei um Einsamkeit, ausgelöst durch das Fehlen von sozialen Kontakten. Aber auch um Zukunftsängste. Gerade bei Personen, die schon früher mit Problemen kämpften, sei Corona nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe, sagt Petra Schneider, Telefonberaterin bei 147: «Kürzlich meldete sich eine junge Frau, die bereits Probleme hat, unter anderem eine Essstörung.» Es ging der Frau einigermassen gut, sagt Schneider, bis zum Zeitpunkt, als ihr Freund in Quarantäne musste und als wichtige Stütze wegfiel: «Sie sagte, jetzt ist es zu viel, jetzt kann ich nicht mehr.»
Psychische Krisen kann man besser bewältigen, wenn man eine Strategie zur Problemlösung hat.
Unklare Regeln verunsichern zusätzlich
Für Jugendpsychiaterin Dagmar Pauli ist klar: «Psychische Krisen kann man besser bewältigen, wenn man eine Strategie zur Problemlösung hat.» Deshalb sei die aktuelle Uneinigkeit in der Schweiz über die Corona-Massnahmen ein zusätzlicher Faktor, der Menschen mit psychischen Problemen verunsichere. Es gehe um die Handlungsfähigkeit: «Dass wir als Gesellschaft klare Anweisungen haben, es braucht Klarheit und Ausblick.»
Im Kleinen könne aber jeder etwas Gutes für seine psychische Gesundheit tun, sagt Pauli: «Einzelne Beziehungen intensiv pflegen, sich online oder draussen treffen.» Und darüber zu sprechen, wie es einem gehe. Mit Freunden, Familie oder auch einer Fachperson: «Es ist ganz normal, dass einen eine so belastende Situation herunterziehen kann.»