«Wir hatten Panik, damals, als die Coronakrise begann», erzählt Selim Ünay, ein 63-jähriger Türke. «Wir wussten, dass etwas passiert, aber wir hatten keine Informationen.»
Seit acht Jahren ist er in der Schweiz. Als das Coronavirus die Schweiz in den Bann zog, bekam er nur wenig davon mit – jedenfalls im Vergleich zur Restbevölkerung.
Eine Pandemie mit Infodemie
Kaum verbreitete sich hierzulande das Virus, wurden Medienkonferenzen des Bundesrats, der Corona-Taskforce und der Kantone zum beinahe täglichen Begleiter. Die Menschen in der Schweiz hörten Simonetta Sommaruga zu, wie sie sagte: «Die Lage ist ernst.» Man hörte Alain Berset zu, wie er sagte: «Bleiben Sie zu Hause.» Die Parolen wurden repetiert auf französisch, teilweise auch italienisch, wurden sogar simultan in Gebärdensprache übersetzt.
Aber nicht auf Türkisch, zum Beispiel. Obwohl hier viele Türkinnen und Türken leben, die kein Deutsch beherrschen.
Alle die vielen Massnahmen und Informationen, wie man sich vor dem Virus schützen kann, kamen bei einem Teil der hiesigen Migrationsbevölkerung nur spärlich an, zeigen mehrere Beispiele.
In der Schweiz, aber nicht integriert
Zurück zu Selim Ünay. Mit 55 Jahren ist er in die Schweiz gekommen. Sein Bildungsniveau ist tief. Trotzdem wollte er Deutsch lernen. «Ich habe mehrere Kurse besucht. Ich höre immer Radio. Aber es ist wirklich nicht einfach», sagt er auf türkisch.
«Viele Menschen, die schlecht gebildet in die Schweiz einreisen, tun sich mit der deutschen Sprache schwer. Wenn sie dann noch in hohem Alter Deutsch lernen sollen, dann ist das fast unmöglich», ergänzt Belinda Walpoth, Grossrätin des Kantons Bern. Sie setzt sich ein für hiesige Migrantinnen und Migranten.
Sie reichte im Berner Kantonsparlament einen Vorstoss ein und wollte von der Regierung wissen, was man zusätzlich noch unternimmt, um diese Bevölkerungsgruppe anzusprechen.
Auch Serab Bas, eine 42-jährige Türkin, hatte Schwierigkeiten. «Ich habe im türkischen Fernsehen gehört, dass die Impfung Thrombose auslösen kann. Deshalb war ich zuerst zurückhaltend.» Dass AstraZeneca, der gemeinte Impfstoff, in der Schweiz gar nicht verimpft wird, das weiss sie nicht.
Nach langem Überlegen hat sie sich aber dann doch für die Impfung entschieden – und mit Hilfe einer dritten Person registriert. «Seither warte ich auf einen Termin.» Dass sie sich selbst anmelden muss, das weiss sie auch nicht. Diese Information ist nicht bis zu ihr vorgedrungen.
Der Kanton Bern will jetzt mehr tun
Aber man habe mit Ärztinnen und anderem Spitalpersonal gesprochen, bekräftigt Gundekar Giebel, der Sprecher der bernischen Gesundheitsdirektion. Und da ist das Verdikt klar: Überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund waren im Spital.
Es liegt also die Vermutung nahe, dass ebendiese Bevölkerungsgruppe zu wenig Informationen erhalten hat, wie man sich selbst schützen kann. Oder, wie man sich für eine Impfung anmeldet.
«Es besteht eine gewisse Holschuld, gerade was die Impfung angeht. Diese ist freiwillig.» Jetzt werde man vermehrt versuchen, Menschen mit Migrationshintergrund, die die Sprachen nicht beherrschen, zu informieren.
Weshalb erst jetzt? «Zuerst musste man das Impfwesen für die grosse Masse und die breite Bevölkerung ausbauen. Erst jetzt kann man sich um die Spezialfälle kümmern.» Der Kanton werde vermehrt den Kontakt zu Sprachgruppen via Vereine und Netzwerke suchen.