Es ist kalt, es weht ein starker Wind – die Skifahrer frieren. Rasch schliessen sie die Fenster in der Gondel. «Die Gäste haben die Tendenz, die Fenster zu schliessen. Wir müssen sie laufend wieder öffnen», sagt Carlo Danioth, Betriebsleiter der Skiarena Andermatt-Sedrun. Was wohl die wenigsten Skifahrer realisieren: Eine Gondel mit geschlossenen Fenstern kann zur Virenfalle werden.
Michael Riediker, Experte für Arbeits- und Umweltgesundheit, stellt das Szenario für die «Rundschau» nach: Mit einer Theaterpuppe nimmt er in Andermatt die Gondel Richtung Skigebiet: Aus der Puppe lässt er künstlichen Rauch strömen. Der Rauch macht sichtbar, wohin die Atemluft abzieht und wie rasch sie sich verdünnt.
Sind die Fenster geschlossen, füllt sich die Gondel innert Sekunden mit dichtem Rauch. Die Atemluft fliesst also kaum ab und reichert sich in der Gondel an. Wenn ein Passagier ansteckend sei und die Masken nicht korrekt getragen würden, dann könnten während einer solchen Gondelfahrt Tausende Viren übertragen werden, sagt Riediker: «So kann eine zehnminütige Gondelfahrt hochkritisch werden».
Risiko steigt um Faktor 10
Fenster offen oder zu – der Unterschied ist enorm. Das zeigen auch Messungen von Ivan Lunati. «Das Risiko einer Ansteckung mit Viren ist bei geschlossenen Fenstern zehnmal grösser», sagt der Physiker an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. Lunati hat mit seinem Team Luftströme und Luftqualität in Gondeln und grossen Seilbahn-Kabinen untersucht.
Sein Fazit dürfte Bergbahn-Betreiber und Skifahrer freuen: Offene Fenster wirken wie eine gewaltige Lüftung: Die Luft in Gondeln und Kabinen wird jede Stunde dutzendfach komplett ausgetauscht. Die natürliche Lüftung führt gar zu einem deutlich häufigeren Austausch der Luft als etwa in Zügen oder in typischen Büroräumen.
Arbeit im Büro ist gefährlicher
Modell-Rechnungen von Empa-Abteilungsleiter Lunati zeigen: Bleiben die Fenster offen, so bedeutet ein Skitag mit einigen Fahrten ein deutlich geringeres Ansteckungsrisiko als ein Arbeitstag in einem Zweierbüro. Selbst dann, wenn im Büro einmal pro Stunde gelüftet wird.
Auch eine Zugfahrt birgt laut den Daten von Empa-Forscher Lunati ein höheres Risiko. «Die Bergbahn-Verantwortlichen müssen den Leuten aber klar kommunizieren, dass die Fenster offen bleiben müssen», so Ivan Lunati.
Andermatt reagiert
Der Branchenverband «Seilbahnen Schweiz» hat die Grundlagen erarbeitet für die Schutzkonzepte der Seilbahnen. Im 18-seitigen Dokument fehlt ein ausdrücklicher Hinweis auf die offenen Fenster. Michael Riediker, der Experte für Umwelt- und Arbeitssicherheit, regt an: Die Bahnen sollten die Fenster so sichern, dass sie sich nicht schliessen lassen. Das sei nicht machbar, entgegnen die Verantwortlichen der Skiarena Andermatt-Sedrun.
Auf den «Rundschau»-Gondeltest reagieren sie aber dennoch: Die Fenster der Gondelkabinen werden neu mit einem Kleber versehen – Aufschrift: «Für Ihre Sicherheit: Fenster nicht schliessen».