Die Ostertage nahen, höhere Temperaturen locken ins Freie. Manch einer überlegt sich in diesen Tagen wohl, wie es wohl wäre, mit dem Auto, vollbepackt mit Lebensmitteln, ins Ferienhäuschen in die Sonnenstube der Schweiz zu verschwinden – «ausserordentliche Lage» hin oder her. Der Tessiner Kantonsarzt Giorgio Merlani rät allerdings eindringlich davon ab.
SRF News: Wie schätzen Sie als Kantonsarzt die Situation im Tessin ein?
Giorgio Merlani: Wir haben im Tessin aktuell 2271 bestätigte Corona-Fälle. Es ist zwar so, dass die Spitäler noch in der Lage sind, Patienten aufzunehmen, aber wir stossen langsam an die Grenzen, vor allem auf den Intensivstationen. Es sieht so aus, als ob die Kurve etwas abflachen würde. Aber das heisst nicht, dass wir über dem Berg sind und die Spitäler sich leeren.
Wir können es uns nicht leisten, dass wir Touristen Plätze zur Verfügung stellen.
Wir fordern die Leute auf, zu Hause zu bleiben, damit sie sich nicht anstecken. Es wäre sinnlos, wenn noch mehr Leute aus der Deutschschweiz zu uns reisen würden, denn sie würden dann sicher nicht in ihren Ferienhäusern bleiben.
Viele denken, wenn ich in mein Häuschen gehe, tue ich nichts. Ich kann die Lebensmittel mitnehmen und treffe niemanden. Wo ist da das Problem?
Es ist immer eine Frage der Bewegung der Leute und der Wahrscheinlichkeit, dass man mit anderen Leuten in Kontakt kommt. Wir haben zum einen eine deutlich höhere Prävalenz des Virus bei uns. Zum anderen ist es nicht auszuschliessen, dass sich die Leute in der Deutschschweiz angesteckt haben und die Symptome erst hier auftreten. Wir möchten, dass sie unsere Täler, unsere Rustici und so weiter kennenlernen, nicht unsere Intensivpflegestationen und unsere Notfälle. Es gibt jetzt knapp Platz. Wir können es uns nicht leisten, dass wir Touristen Plätze zur Verfügung stellen.
Prävalenz, das heisst, im Moment sind im Tessin bereits mehr Leute angesteckt, die es vielleicht noch nicht wissen, als in der Deutschschweiz?
Ja, Prävalenz steht für die Anzahl Menschen in der Bevölkerung, die positiv sind. Wir können davon ausgehen, dass zurzeit wahrscheinlich fünf, sechs, sieben, vielleicht sogar zehn Prozent der Tessiner Bevölkerung mit dem Virus in Kontakt gekommen sind. Das ist deutlich höher als im Rest der Schweiz.
Das klingt nicht nach Ferienstimmung im Tessin...
Sicher nicht. Grigliata, Grotto, Passeggiata – all das ist jetzt nicht möglich. Die Städte sind praktisch leer. Die Hälfte der Leute laufen mit einer Maske herum. Alle Läden sind zu, die Restaurants hinzu. Es gibt kein Gelato, es gibt keine Piazza. Jetzt ist nicht der Moment, um ins Tessin zu reisen. Ich würde empfehlen, dass die Leute dieses Jahr zu Hause bleiben und sich um andere Sachen kümmern. Und dann werden wir das Tessin – im Sommer vielleicht schon, sicher nächstes Jahr – wieder von der besten Seite zeigen können.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.