Eine Warteschlange von über einem Kilometer mit rund zweieinhalbtausend Menschen, die stundenlang ausharrten, um einen Sack mit Grundnahrungsmitteln wie Reis, Teigwaren oder Öl zu bekommen. Die Bilder stammen nicht aus einem Krisengebiet, sondern mitten aus der Stadt Genf. Das Hilfswerk «Caravane de la Solidarité» verteilte am Wochenende Tausende von Essenssäcken.
Leiter Christophe Jakob sagte gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS, viele, die angestanden seien, hätten keinen legalen Aufenthaltsstatus. Es seien sogenannte Sans Papiers, die nun nicht mehr als Putzhilfe oder in Restaurants oder Hotels arbeiten könnten und kein Einkommen mehr hätten.
20 Franken für eine ganze Familie
Einige Wochen hätten sie sich über Wasser halten können, indem sie sich zum Beispiel Geld geliehen hätten. Nun sehe er aber ganze Familien, die mit einem Essenssack im Gegenwert von 20 Franken tagelang durchkommen müssen.
Die Bilder aus Genf führen eindrücklich vor Augen, wie die Coronakrise den Ärmsten zusetzt. In der übrigen Schweiz ist die Armut weniger augenfällig, doch Stefan Gribi, Mediensprecher von Caritas Schweiz, sagt, der Eindruck täusche. «Grundsätzlich stellen wir eine Zunahme in der ganzen Schweiz fest.»
Er spricht von einer Zunahme von Menschen, die in den Caritas-Läden günstige Waren kaufen und die sich bei Beratungsstellen melden. «Auch die Anfragen für die Sozialberatungen steigen. Es kommen Leute zu uns, die kein Geld mehr haben, um ihre Rechnungen zu bezahlen.»
Vorher knapp über der Armutsgrenze, jetzt darunter
Es seien längst nicht nur Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, betont Stefan Gribi. «In der Schweiz lebt rund eine halbe Million Menschen ganz knapp über der Armutsgrenze. Wenn bei diesen ein Teil des Einkommens wegfällt, sind sie in einer schwierigen Situation.» Viele hätten dies Ende April gemerkt, als die Löhne ausbezahlt worden seien, viele hätten weniger erhalten.
Aktuelle Zahlen, wie viele Menschen in der Schweiz nun wegen der Coronakrise neu unter der Armutsgrenze leben, gibt es noch nicht. Bilder wie diejenigen aus Genf deuten aber darauf hin, dass sich die Lage zugespitzt hat.