«Die Polizei ist ein bisschen zu träge, zu konservativ, zu wenig risikofreudig.» Das sagt Tobias Bolliger – und er muss es wissen: Er leitete mehrere Jahre die nationale Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität Kobik. Dort habe er gesehen: Die Verbreitung von Kinderpornografie nehme zu – aber die Strafverfolger könnten wenig dagegen ausrichten. Denn sie kämpften mit alten Mitteln gegen die Kriminalität im digitalen Raum.
Bolliger hat seinen Spitzenposten bei der Bundeskriminalpolizei letztes Jahr verlassen und ist zu einem Start-up in Winterthur gewechselt. Von hier aus will er die Polizeiarbeit modernisieren helfen – mit Künstlicher Intelligenz.
Gesichtserkennung für Nachrichtendienste
AVA-X hat für Nachrichtendienste eine hochpräzise Gesichtserkennung entwickelt. Diese hat das Team unter Bolligers Führung ausgebaut und will sie nun den Polizeien anbieten. «Unsere Software wird nicht sagen: Das ist der Täter, dort wohnt er, gehe ihn abholen. Aber sie kann den Ermittlern im Umgang mit den riesigen Datenmengen, die sie zu bewältigen haben, helfen.»
Die Digitalisierung bedeutet für die Polizei eine Flut von Beweismitteln. Die IT-Forensikerin Franziska S. analysiert bei der Kapo Aargau die Datenträger, die in Pädokriminalitätsfällen beschlagnahmt werden. Das sind rasch ein bis zwei Terabyte. «In einem Fall mit einer Million Bilder und mehr braucht man ein bis zwei Monate, um alles anzuschauen», sagt sie. Das sei emotional belastend und vor allem: sehr zeitaufwändig.
Hier will Bolliger seine Software einsetzen: Diese könnte etwa ein missbrauchtes Kind in Millionen anderer Bilder wiederfinden, dessen Alter grob einschätzen und auch einen Tatort anhand der Objekte im Raum wiedererkennen.
Technologie mit Missbrauchspotential
Gesichtserkennung ist eine mächtige, aber auch umstrittene Technologie. Denn sie kann helfen, Verbrechen aufzuklären, aber auch missbraucht werden. Autoritäre Regimes bespitzelten damit ihre Kritiker, sagt Patrick Walder von der NGO Amnesty International. «Manche Länder überwachen systematisch ihre ganze Öffentlichkeit mit automatischer Gesichtserkennung.» Der Export dieser Technologie müsse darum beschränkt werden.
Tobias Bolliger sagt, er verkaufe weder an Länder auf der Waffenexportverbotsliste des Bundes noch an autoritäre Staaten, in denen Grundrechte verletzt werden. Allerdings verhandelt er mit der Polizei von Abu Dhabi – und die Arabischen Emirate überwachen den öffentlichen Raum mit hunderttausenden Kameras. Zudem geht der Staat hart gegen Kritiker vor.
Er verhandle lediglich mit der Polizei von Abu Dhabi, sagt Bolliger. Und diese sei ein vertrauenswürdiger Partner. Er räumt ein, dass er den Einsatz nicht kontrollieren könne. «Wenn es eine Missbrauchsabsicht gibt, dann können wir das nicht zu 100 Prozent verhindern, würden aber sofort reagieren, wenn wir Kenntnis davon hätten.»