Es ist Mitte Juni, abends gegen 19 Uhr, Standort Rhonegletscher: der Klima- und Gletscherexperte David Volken misst auf 2300 Meter über Meer eine Lufttemperatur von 13 Grad. «Das ist nicht normal», sagt er nachdenklich. «Derzeit liegt die Nullgrad-Grenze fast auf Mont-Blanc-Höhe, also auf 4800 Meter. Wir haben im Juni schon etliche Hitzetage gehabt und im Mai hatten wir sogar fünfzehn, sechzehn Sommertage in Locarno, Genf und Visp», resümiert Volken.
Tatsächlich liegt auf dem Rhonegletscher kaum noch Schnee zu dieser Jahreszeit. Das habe er in den letzten zwanzig Jahren so noch nie erlebt, sagt Volken. «Die Ausaperung ist so weit fortgeschritten, wie normalerweise anfangs August. Nicht mal im Hitzesommer 2003 hatten wir Mitte Juni so wenig Schnee», erklärt der Gletscherexperte. Dabei wäre der Schnee wichtig, weil er die Gletscher vor der Sonne schützt.
Das habe ich so in den letzten zwanzig Jahren noch nie erlebt.
Noch liegt der Sommer vor uns und es lässt sich nicht absehen, wie sich die Gletscherschmelze letztlich entwickeln wird. «Doch es deutet jetzt schon vieles auf ein extrem starkes Schwundjahr hin», ist Volken überzeugt.
Lebensverlängernde Massnahmen
Wenn der Rhonegletscher schwitzt, dann leidet auch die Eisgrotte unten im Bereich der Gletscherzunge. Betrieben wird sie von Philipp Carlen in vierter Generation. Sein Urgrossvater hatte vor knapp 190 Jahren die Idee, man könnte doch eine Grotte ins Eis schlagen und den Gletscher so touristisch vermarkten. Seither besitzt die Familie Carlen die Nutzungsrechte am Gletscher und lockt mit ihrer Grotte Jahr für Jahr tausende Touristen ins Eis.
Doch mit zunehmendem Gletscherschwund steigt auch der Arbeitsaufwand. «Die hundert Meter lange Grotte muss jedes Jahr neu erstellt werden - fünf, sechs Mann sind damit fast vier Wochen lang beschäftigt», sagt Carlen. «Ausserdem decken wir den Gletscher im Bereich der Grotte mit speziellem Vlies ab, das ist ebenfalls eine sehr aufwändige Sache.»
Jedes Jahr liegen noch mehr Vliese auf dem Gletscher. Sie können die Eisschmelze indes nicht verhindern, nur verlangsamen. Mit den Blachen kämpft Philipp Carlen gegen den Klimawandel an. Doch irgendwann werde der Aufwand zu gross. «Wenn der Gletscher weiter so schnell schwindet, dann wird es die Eisgrotte nicht mehr lange geben. Ich werde die letzte Generation sein», sagt Philipp Carlen.
Bereits ist an der Gletscherzunge jedoch eine neue Attraktion entstanden: ein See, gespiesen vom schmelzenden Eis. Und so wie der Rhonegletscher ständig etwas kleiner wird, wächst der See von Jahr zu Jahr.