- Der Ständerat diskutiert heute Donnerstag über ein Gesetz, welches die Überwachung von mutmasslichen Betrügern der IV wieder ermöglichen soll. Vor rund einem Jahr hatte der Menschenrechts-Gerichtshof in Strassburg diese Überwachung verboten.
- Staatsrechtler sprechen von einem schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre.
- Mit dem neuen Gesetz «dürfen die Detektive mehr als Polizei oder Nachrichtendienst».
Geht es nach dem Willen der vorberatenden Kommission, sollen nicht nur Bild- und Tonaufnahmen erlaubt sein, sondern auch technische Instrumente zur Standortbestimmung. Die IV und andere Sozialversicherungen dürften also nicht bloss observieren, sondern überwachen.
Zulässig sind solche Mittel sonst nur für Strafverfolgungsbehörden und dem Nachrichtendienst. Diese brauchen dafür aber eine richterliche Genehmigung. Die Ständeratskommission will solche Mittel nun Sozialdetektiven ohne Genehmigung erlauben.
«Eine Art Trotzreaktion der Politik»
Vermutlich sei das Aufsehen auch der Grund, wieso die Politik das Thema so rasch behandelt habe, sagt der Zürcher Professor für Staats- und Sozialversicherungsrecht Thomas Gächter. Er glaubt, Bundesrat und Parlament hätten das Thema in einem «einmalig hohen Tempo» behandelt, weil sie glaubten, es entspreche einem politischen Bedürfnis. Es sei wie eine «Trotzreaktion, um diese Überwachung unabhängig von der Rechtsprechung in Strassburg so schnell wie möglich wiedereinzuführen».
Fehlende Gesetzesgrundlage
Die gesamten Gesetzgebungsarbeiten gehen auf ein Urteil des Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zurück. Dieser hatte festgestellt, dass in der Schweiz eine klare und detaillierte gesetzliche Grundlage zur Observation von Versicherten fehlt. Wegen des Urteils mussten die Unfallversicherer und die IV ihre Beobachtungen einstellen.
Um diese wieder zu ermöglichen, wollte der Bundesrat im Rahmen einer Reform des Sozialversicherungsrechts eine gesetzliche Grundlage schaffen. Die Ständeratskommission beschloss aber, das Verfahren zu beschleunigen. Sie löste den Observationsartikel aus dem Reformpaket heraus und ergänzte diesen mit den technischen Instrumenten zur Standortbestimmung.
Bundesrat dagegen
Der Bundesrat lehnt die Überwachung von IV-Rentnern ab. Er argumentiert mit dem Persönlichkeitsschutz und dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. In seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Kommission äusserte er auch Zweifel, dass sich mit GPS-Trackern entscheidende Erkenntnisse gewinnen lassen.
Nach dem Willen der vorberatenden Kommission soll eine Person mit leitender Funktion bei der Versicherung die Observation anordnen können. Personen sollen dann observiert und überwacht werden dürfen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie unrechtmässig Leistungen beziehen oder zu beziehen versuchen.
Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Abklärungen sonst aussichtslos oder unverhältnismässig erschwert würden. Eine linke Kommissionsminderheit möchte ausserdem im Gesetz verankern, dass die Betroffenen nur an allgemein zugänglichen Orten observiert werden dürfen.
Staatsrechtler mit Brief an den Ständerat
Für Thomas Gächter ein schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre. Damit dürften diese Detektive mehr, als die Polizei oder der Nachrichtendienst. Das sei unlogisch, finden die Staatsrechtler. Bei Polizei und Nachrichtendienst gehe es oft um schwerere Straftaten. Die Staatsrechtler haben ihre Kritik mit einem Brief beim Ständerat deponiert.
SP-Vertreterinnen und Vertreter beantragen im Ständerat, nur Bildaufzeichnungen zuzulassen. Tonaufnahmen und GPS-Tracker sollen nicht erlaubt sein. Ausserdem soll die Observation nur erlaubt sein, wenn eine Richterin oder ein Richter des kantonalen Versicherungsgerichts sie genehmigt.