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Beide Nationalräte stehen im Ratssaal.
Legende: Schlangestehen vor dem Rednerpult: Magdalena Martullo-Blocher (SVP/GR) und Erich Hess (SVP/BE). Keystone

Debatte um SVP-Initiative «Eine Verzögerungstaktik ist sehr plausibel»

Auch im zweiten Anlauf hat der Nationalrat die Debatte über die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» (Selbstbestimmungs-Initiative) nicht abgeschlossen (siehe Box). Im Vorfeld hatten sich mehr als 80 Einzelredner gemeldet, zu Wort gekommen sind bisher knapp die Hälfte.

Am Montag nach 19 Uhr geht die Debatte weiter, mit einer Open-end-Sitzung. Dagegen hatte sich die SVP vergeblich gewehrt. Ein Ordnungsantrag von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (SVP/ZG) lehnte eine Mehrheit im Nationalrat am Dienstag ab. Aeschi hatte moniert, dass eine Sitzung, die voraussichtlich bis nach Mitternacht dauern wird, dem Geschäftsreglement des Nationalrates widerspreche. Das Geschäft sei nicht dringlich, die Initiative könne noch bis Mitte Februar 2019 behandelt werden.

Das weckte bei SP-Fraktionschef Roger Nordmann den Verdacht, dass die SVP das Geschäft verschleppen will, damit die Abstimmung erst später im Wahljahr vors Volk kommt und zur Mobilisierung von SVP-Wählern beiträgt.

Auch der «Blick» rechnete nach, dass die Abstimmung spätestens am 19. Februar 2019 vors Volk kommt, wenn diese Woche die Schlussabstimmung stattfinden kann. Zudem hat «Blick» bekanntgemacht, wie Thomas Aeschi das Vorgehen minutiös geplant haben soll.

Doch was bezweckt die SVP mit ihrer Verzögerungstaktik? SRF News fragte den Politikberater Mark Balsiger.

Mark Balsiger

Politikberater und Buchautor

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Mark Balsiger studierte an den Universitäten Bern und Cardiff Politologie, Geschichte und Journalistik. Seit 2002 führt er die Agentur Border Crossing in Bern, die auf Politikberatung und Öffentlichkeitsarbeit spezialisiert ist.

SRF News: Der Partei, die die Selbstbestimmungs-Initiative lanciert hat, wird Verzögerungstaktik vor geworfen. Dies, damit die Abstimmung über die Initiative so nah wie möglich am Wahltermin vom Oktober 2019 vors Volk kommt. Was ist dran an dieser Theorie?

Mark Balsiger: Sie ist sehr plausibel, zumal inzwischen das Drehbuch der SVP-Fraktion öffentlich wurde. Es macht einen Unterschied, ob über die Selbstbestimmungsinitiative in diesem November oder erst im nächsten Frühjahr abgestimmt wird.

Filibuster – Vom Dauerreden und Fragenstellen

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Filibuster ist eine parlamentarische Taktik, um die Behandlung eines Geschäfts zu verzögern oder gar zu verhindern. Dies geschieht durch Dauerreden oder Fragenstellen. Neu ist diese Taktik nicht, schon die alten Römer kannten sie. Der Begriff des Filibuster wurde im US-Senat geprägt und stammt vom französischen Wort Flibustier für Freibeuter, die im 17. Jahrhundert die Karibik unsicher machten. In der Schweiz wird diese Taktik dadurch erschwert, dass die Redezeit begrenzt ist. Laut dem Geschäftsreglement des Nationalrats (Art. 44) dürfen Rednerinnen und Redner 5 Minuten für ihre Ausführungen in Anspruch nehmen.

Verschleppung von populären Geschäften ins Wahljahr, ist das eine gängige Taktik?

Die Parteien versuchen, die Agenda eines eidgenössischen Wahljahrs frühzeitig mitzubestimmen, manchmal mit Erfolg. Die Absicht dahinter ist klar: Wenn eine Partei eines ihrer Kernthemen über Monate weiter beackern kann, schärft sie ihr Profil und kann am Wahltag zulegen. Volksinitiativen eignen sich dabei besonders, weil sie während des üblichen Verlaufs von vier Jahren mehrmals in der Öffentlichkeit verhandelt werden.

Macht das nur die SVP?

Nein, aber die SVP plant ihre Volksabstimmungen seit Mitte der Neunzigerjahre strategisch am Reissbrett. Die Lancierung erfolgt jeweils in einem Wahljahr – schon mehrfach symbolträchtig an einem 1. August. Die Volksabstimmung fällt dann meistens ins nächste Wahljahr.

Andere Parteien haben dieses Erfolgsmodell zu kopieren versucht: Im eidgenössischen Wahljahr 2011 lancierten alle grösseren Parteien – ausser die BDP – eine Volksinitiative. Der Erfolg war allerdings sehr durchzogen.

Was bezweckt man damit?

Eine Partei, die während eines Wahljahres Unterschriften sammelt, bringt ihre Mitglieder besser auf die Strasse. Das gibt viele persönliche Kontakte, Volksnähe und im Idealfall Dynamik – und die Kandidierenden sind dankbar, dass sie nicht nur ihren Flyer und Schöggeli abgeben können, sondern auch noch etwas Substanzielleres zu bieten haben.

Die Volksinitiative wird als Vehikel für den Wahlkampf missbraucht.

Volksinitiativen sind auch Mitgliederwerbung und sie generieren Spenden. Die Volksinitiative wird als Vehikel für den Wahlkampf missbraucht, was sicher nicht die Absicht der Erfinder war.

Welche Art von Initiativen «zieht»?

Zwei Voraussetzungen helfen beim Sammeln enorm: Das Anliegen ist, erstens, mit zwei Sätzen schlüssig zu erklären. Zweitens ist das Thema bereits auf der Medienagenda. Sehr wichtig sind auch Logistik, Erfahrung und Disziplin. Eine Volksabstimmung zu stemmen ist eine riesige Übung. Über eine lange Zeitspanne hinweg am erfolgreichsten sind die SP, die Gewerkschaften und die SVP.

Hat diese Taktik, sich durch eine Volksinitiative ins Gespräch zu bringen, überhaupt Erfolg bei den Wählern? Zahlt sich das aus?

Manchmal sicher, bei der SVP funktioniert die Massage potentieller Wähler gut, obwohl sie erst zwei ihrer Volksabstimmungen an der Urne durchgebracht haben. Stark auf Profilierung und Mobilisierung ihrer Mitglieder setzen auch die Grünen.

Es gibt allerdings auch Parteien, die mit ihren Volksinitiativen auf die Nase fielen: Die FDP musste 2012 die Sammelfrist für ihre «Bürokratie-Initiative» von 18 Monaten bis auf den letzten Tag ausreizen, schaffte die Hürde der 100'000 Unterschriften aber trotzdem nicht – eine Schmach sondergleichen. Und die GLP erhielt 2015 für ihre Volksinitiative «Energie- statt Mehrwertsteuer» gerade einmal 8 Prozent Ja an der Urne. Das war brutal und demotivierend.

Die Debatte um die Selbstbestimmungs-Initiative der SVP geht am Montag in die dritte Runde – open-end. Hört da überhaupt noch jemand zu?

Was hier abläuft, ist keine Debatte, sondern eine Show für die Medien: Es geht um Aufmerksamkeit, Eigenprofilierung, Gockelgehabe und die Frage, wer kommt mit seinem Zitat in «10vor10». Die Meinungen sind ja gemacht.

Die Fragen stellte Claudia Blangetti.

«Staatsputsch» oder «Volksdiktatur» – Debatte mit Showeinlagen

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Bei der Fortsetzung der Debatte zur Selbstbestimmungs-Initiative gab es auch Showeinlagen. Thomas Aeschi (SVP/ZG) sagte mit einer Marionette in der Hand, dass «fremde Richter» über die Schweiz bestimmten. Andreas Glarner (SVP/AG) klebte sich mit EU-blauem Pflaster den Mund zu, weil das Volk aus seiner Sicht mundtot gemacht wird.

Mit der Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» will die SVP festlegen, dass die Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht Vorrang hat – unter dem Vorbehalt weniger zwingender Bestimmungen.

Die SVP-Vertreter argumentierten, der Vorrang habe bis 2012 faktisch gegolten. Seither habe das Bundesgericht in mehreren Fällen die sogenannte Schubert-Praxis nicht angewendet. Diese besagt, dass Völkerrecht grundsätzlich dem Landesrecht vorgeht – ausser das Parlament erlässt bewusst ein völkerrechtswidriges Gesetz. Erich Hess (SVP/BE) befand, die Initiative sei die letzte Chance, die direkte Demokratie zu retten.

Roger Köppel (SVP/ZH) sprach von einer «kalten Entmachtung des Volkes» und einem «Staatsputsch». Claudio Zanetti (SVP/ZH) warnte, beim Völkerrecht könne der Wind drehen, was – wie bei einem Giftgaseinsatz – zu verheerenden Folgen führe.

Alle anderen Fraktionen sprachen sich entschieden gegen die Initiative aus. Diese fordere, dass die Mehrheit ohne Schranken über die Minderheiten herrschen könne, sagte Martina Munz (SP/SH). Diese Forderung nach einer «Volksdiktatur» sei brandgefährlich.

Rednerinnen und Redner wiesen darauf hin, dass eine Annahme der Initiative eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Folge hätte. Es handle sich dabei um eine Grundversicherung der Bürgerinnen und Bürger, sagte Stefan Müller-Altermatt (CVP/SO).

Viele warnten auch, dass sich die Schweiz mit einem Ja zur Initiative zum Vertragsbruch ermächtigen würde. Hätte das nationale Recht eine absolute Vorrangstellung, wäre die Schweiz kein glaubwürdiger Partner mehr. «Nur wer die Schweiz isolieren will, stimmt dieser Initiative zu», sagte Bernhard Guhl (BDP/AG). Jürg Grossen (GLP/BE) bezeichnete das Volksbegehren als «Rechtsunsicherheitsinitiative». Ein Ja wäre ein fatales Signal und der Schweiz unwürdig. Auch Christa Markwalder (FDP/BE) warnte vor einem Reputationsschaden.

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