Elf Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima und der darauffolgenden Annahme des Energiegesetzes wollen FDP und SVP eine Kehrtwende vollziehen und das Neubauverbot von Atomkraftwerken aufheben. Die Energiestrategie sei «krachend gescheitert», sagte SVP-Nationalrat Christian Imark in der «Arena» am Freitag. Es bestehe ein grosses Risiko, dass wir in unmittelbarer Zukunft zu wenig Strom hätten – und es sei «völlig unrealistisch», dass die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien allein sichergestellt werden könne.
In der Sendung ging es schliesslich um einen Grundsatzentscheid, ob die Schweiz ohne neue Kernkraftwerke, wie es die Energiestrategie verlangt, mit genügend Strom versorgt werden kann. Denn es droht eine Stromlücke – im schlimmsten Fall könne ab 2025 wochen- oder sogar monatelang der Strom knapp werden, warnte Wirtschaftsminister Guy Parmelin im vergangenen Herbst.
Linke und Grüne wollen in Solaranlagen investieren
Es sei eine Scheindebatte, sagte SP-Fraktionschef Roger Nordmann dazu in der Sendung. Er gibt die ungelöste Entsorgung des hoch radioaktiven Abfalls zu bedenken. Dazu komme der zeitliche Aspekt: Abstimmung, Bewilligung und Bau eingerechnet, könnten neue Kernkraftwerke vor 2050 gar keinen Strom liefern. «Abgesehen davon ist es eine gefährliche Technik der Vergangenheit», sagte Nordmann. Auch Florence Brenzikofer, Vizepräsidentin der Grünen, sagt, die Wirtschaftlichkeit von AKW sei nicht mehr gegeben. «Die Kosten für die Sicherheitsüberprüfung dieser alten Technologien stehen in keinem Verhältnis zu dem, was sie rentieren», sagte sie.
Linke und Grüne sehen das grösste Potenzial stattdessen in Solarstrom und Wasserkraft. «Es braucht eine Solaroffensive», sagte Brenzikofer. Sie fordert eine Pflicht von Solaranlagen auf Neu- und Industriebauten.
Das reiche bei Weitem nicht, erwiderte Imark. «Soll Öl und Gas bis 2050 auf null reduziert werden, brauchen wir massiv mehr Strom.» Er wirft UVEK-Vorsteherin Simonetta Sommaruga vor, sie habe die Sachlage nicht genügend analysiert. «Darum braucht es jetzt ein Stromgeneral.» Die Energiestrategie müsse neu gedacht werden.
FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen kommt zum Schluss, dass es ein «Back-up» aus Gas und Kohle als Ergänzung zum Ausbau der erneuerbaren Energien braucht. Seine Lösung besteht in einem möglichst breiten Massnahmenmix von Technologien, die CO2-freien Strom produzieren. Auch AKW gehören dazu.
Axpo-Chef äusserte sich zu den Vorwürfen
Im Interview mit Sandro Brotz, das in der Sendung ausgestrahlt wurde, sagte Christoph Brand, CEO des Energieunternehmens Axpo: «Für die bestehende Generation von Kernkraftwerken wird es sehr schwierig sein, ein Unternehmen zu finden, das willens ist, die finanziellen Risiken einzugehen», sagt er. Er betont aber auch, man müsse offenbleiben für diese Technologie, denn mit fortschreitender Forschung ergäben sich allenfalls neue Möglichkeiten.
Er nahm damit in der Sendung auch erstmals Stellung zu den Vorwürfen von Magdalena Martullo-Blocher gegenüber den Energieunternehmen. Die Ems-Chefin und SVP-Vizepräsidentin sagte in einem Interview, das am Freitag im «Blick» veröffentlich worden war, die Stromkonzerne hätten gar kein Interesse daran, die Stromknappheit zu verhindern, es gehe ihnen nur um den eigenen Profit. Brand sagte dazu, viele der Projekte, in die sie investierten, würden durch Einsprachen blockiert, andere seien schlicht defizitär. Davon hätte schlussendlich auch der Steuerzahler oder die Steuerzahlerin das Nachsehen.
Einig war man sich in der «Arena» eigentlich nur, dass es jetzt pressiert. Denn beim Ausbau von Anlagen erneuerbarer Energien stockt es. Gleichzeitig warfen sich beide Seiten gegenseitig vor, die Energiestrategie zu blockieren. «Wir dürfen nicht in Grabenkämpfe verfallen», wie dies nun der Fall sei mit der KKW-Debatte, sagte Roger Nordmann. Das bremse die Förderung, die die erneuerbaren Energien jetzt brauchten. Wasserfallen seinerseits sagte, die Umweltverbände blockierten geplante Projekte, etwa den Stausee beim Triftgletscher oder die Solaranlage in Gondo. «Wir verlieren Jahrzehnte, wenn alles vor Bundesgericht landet.»
Michael Casanova, Projektleiter Energiepolitik bei Pro Natura, der zur Sendung zugeschaltet war, sagte, es greife zu kurz, die Umweltverbände als Bösewicht hinzustellen. Sie unterstützten grundsätzlich die Energiestrategien. «Es ist immer eine Frage der Standortwahl», sagte Casanova. Statt als Erstes in die unbelastete Natur einzugreifen, solle man doch zuerst dort in den Bergregionen anfangen zu bauen, wo bereits viel Infrastruktur vorhanden sei.
Roger Nordmann betonte in der «Arena», «weniger Polemik, mehr Strom» sei in dieser Debatte angebracht. Immerhin dazu war man sich in dieser lebhaften Diskussion am Freitag durchaus einig.