Morgens um sieben Uhr im Oberwalliser Dorf Steg in der Nähe von Visp. Die Pflegefachfrau Jenny Meichtry klingelt an der Türe ihrer ersten Kundin dieses Tages. Sie desinfiziert ihre Hände, geht hinein – wie immer im weissen Spitex-Kittel und wegen Corona mit einer Gesichtsmaske. «Guten Morgen.» Jenny Meichtry begrüsst die 74-jährige Franziska Bregy, die vor knapp einem Jahr eine schwere Darmoperation hatte und seither jeden Morgen die Hilfe der Spitex braucht.
Aufstehen, waschen, Haare strählen, Narbe eincremen, Kleider anziehen. Jenny Meichtry nimmt sich Zeit, fragt nach, hört zu. «Wenn man niemanden hat fürs Reden, ist das sehr wichtig,» sagt die Kundin Franziska Bregy. Das sei fast wichtiger als die Pflege selbst: «Ich rede eben gerne», sagt die 74-Jährige mit einem Lächeln.
Das Reden ist sehr sehr wichtig.
Normalerweise würden die beiden Frauen ihren Schwatz bei einem Kaffee weiterführen. Wegen Corona geht das aber nicht. «Wir dürfen die Maske nicht ausziehen», sagt Jenny Meichtry. Das sei für ihre Kunden zusätzlich schwierig.
Gerade jene Personen, die die Hilfe von der Spitex benötigen, sind gesundheitlich angeschlagen und sollten darum ihre Kontakte minimieren. Kein Besuch der Kinder, kein Besuch der Enkelkinder, kein Jassnachmittag unter Freunden – zu gross die Gefahr einer Ansteckung.
Sozial- und Körperkontakt schaffen Nähe
An einer Wand in der Wohnung von Franziska Bregy hängt ein Foto ihrer grossen Familie. Viele von ihnen hat sie schon lange nicht mehr gesehen. Wenn, dann nur von Weitem. «Wir knuddeln gerne und nehmen uns in die Arme. Das geht nun nicht, das ist schwer», sagt Bregy. Aber es sei halt für die Gesundheit, anders gehe es nicht.
Wir nehmen uns mehr Zeit fürs Eincremen.
Der Körperkontakt sei derzeit sehr wichtig bei der Pflege, das habe ihr ganzes Team beobachtet, sagt die Pflegefachfrau Jenny Meichtry. Auch ihre Kolleginnen und Kollegen würden sich nun mehr Zeit fürs Eincremen nehmen. «Wegen Corona versucht man so, Nähe zu schaffen», sagt Meichtry.
Sie stehe aber selbst unter Druck, das sei ganz anders als während der ersten Welle: «Ich schränke mich privat sehr ein.» Kontakte minimieren, Corona stets im Hinterkopf haben. «Ich sehe das mit anderen Augen und habe auch eine Verantwortung.» Zumal die Pflegenden der Spitex von Haus zu Haus gehen und sich um verschiedene Patienten kümmern.
Die Dankbarkeit bei den Kundinnen und Kunden sei jedoch sehr gross, sagt Jenny Meichtry. Sie verabschiedet sich von Franziska Bregy, die sagt: «Danke viel viel Mal», man spürt, das kommt von Herzen.
Sie würden das nicht nur sagen, sondern auch zeigen. Gerede jetzt vor Weihnachten würden einige ihr Pulswärmer häkeln oder eine Tasche stricken. «Das ist sehr schön, das gibt Kraft, weiterzumachen», sagt Jenny Meichtry und fährt zum nächsten Kunden.