Rund einen Kilometer vom Südportal des Gotthardtunnels entfernt geschieht es: Das, was später als «Gotthard-Inferno» bezeichnet wird – der schlimmste Unfall, zu dem es im längsten Strassentunnel der Schweiz je gekommen ist.
Auslöser ist ein Lastwagen, der auf die Gegenfahrbahn gerät und dort mit einem weiteren Lastwagen kollidiert. Die Fahrerkabinen verkeilen sich, ein Tank bricht auseinander, Diesel fliesst aus, ein Kurzschluss entzündet das Feuer. Hunderte Pneus, die der LKW des Unfallverursachers geladen hat, fangen an zu brennen, die Hitze steigt auf über 1200 Grad.
Nur schauen, nicht löschen
Das Feuer ist so stark, dass die Rettungs- und Löschkräfte gar nicht bis zur Unfallstelle vordringen können. Sie hätten «nur aus einer sicheren Nische» auf das Ereignis blicken können, sagt der damalige Chef der Urner Chemiewehr, Benno Bühlmann, am Tag des Unglücks im Schweizer Fernsehen: «Dort gab es ein absolut chaotisches Bild. Die Tunneldecke hing herunter, sie war eingestürzt. Die Fahrzeuge waren zum Teil gar nicht mehr erkennbar.»
Erst einen Tag später können die Rettungsteams wirklich vor Ort arbeiten – sie stehen mit 300 Personen im Einsatz. Auch der damalige Bundespräsident Moritz Leuenberger nimmt einen Augenschein: «Es ist das totale Desaster. Ich bin sehr, sehr schockiert darüber, was ich da gesehen habe.»
Die traurige Bilanz des Unglücks: Elf Personen kommen ums Leben. Viele weitere können sich allerdings retten, entweder über den Sicherheitsstollen oder indem sie ihr Fahrzeug im Berg wenden und aus dem Gotthardtunnel hinausfahren.
Eine Zäsur für die Tunnelsicherheit
Das Gotthard-Inferno führte dem Tunnelland Schweiz auf brutale Art vor Augen, wie gefährlich auch vermeintlich sichere Tunnels sein können. Denn trotz seiner Länge von 17 Kilometern und des Gegenverkehrs galt der Gotthard-Strassentunnel als gut und modern ausgerüstet.
Allerdings zeigten die Ermittlungen nach dem Unfall Mängel auf: So hatte die damalige Ventilation den Brand sogar noch angefacht, anstatt den Rauch abzusaugen.
Der Brand im Gotthard-Strassentunnel führte schliesslich dazu, dass die Sicherheitsmassnahmen schrittweise angepasst wurden. Als der Tunnel im Dezember 2001 wieder für den Verkehr geöffnet wurde, galt zunächst ein Einbahnregime für Lastwagen, um gefährliche Kreuzungen zu vermeiden. Die Massnahme hatte kilometerlange LKW-Staus zur Folge – und hitzige politische Diskussionen.
Wir können den Rauch nun innerhalb von 200 Metern absaugen.
Die Regel wurde dann wieder aufgehoben. Allerdings erst, als im September 2002 eine effizientere Lüftung in Betrieb ging. «Man hat vor allem die Steuerung der Brandschutzklappen verändert», erklärt Beat Walther von der Schadenwehr Gotthard, «so hätten wir im Brandfall keinen grossen Rauchgasstrom mehr. Wir können den Rauch innerhalb von 200 Metern absaugen und dadurch möglichst wenige Personen gefährden».
Dosiersystem und Lastwagenkontrollen
Um die Gefahr von Unfällen und Bränden im Tunnel zu reduzieren, setzte der Bund aber auch schon ausserhalb des Tunnels an. So führte er das sogenannte Tröpfchensystem ein. Dieses sorgt dafür, dass nicht zu viele Lastwagen gleichzeitig in den Tunnel gelassen werden und sie mit ausreichendem Abstand fahren. Der Tropfenzähler registriert jedes einzelne Fahrzeug, ein Lastwagen gilt als drei Autos. Pro Stunde und Richtung dürfen nicht mehr als 1000 solcher Personenwageneinheiten durch den Tunnel fahren.
Später legte der Bund vor allem im Bereich der Kontrollen der Lastwagen nach. 2009 wurde im Kanton Uri das Schwerverkehrszentrum eröffnet, in dem stichprobenweise die Camions und ihre Chauffeurinnen und Chauffeure überprüft werden. Nächstes Jahr wird ein Pendant im Tessin aufgehen.
Ein weiterer, wichtiger Schritt zur Verbesserung der Sicherheit passierte 2016. Damals gingen auf beiden Seiten des Tunnels die Thermoportale in Betrieb. Kurz vor den Einfahrten werden auf der Lastwagenspur sämtliche Fahrzeuge auf übermässige Hitze gescannt. Denn überhitzte Motoren, Bremsen oder Abgasanlagen sind die häufigste Brandursache.
«Die Thermoportale sind sehr moderne Anlagen», erklärt Beat Walther von der Schadenwehr. «Die Fahrzeuge können mit Tempo 80 durchfahren und wenn ein überhitztes Fahrzeug detektiert wird, stellt die Ampelanlage auf Rot um.» Die Thermoportale verursachen zwar relativ viele Fehlalarme. Doch wurden im letzten Jahr laut Zählung des Bundesamts für Strassen (Astra) immerhin zwölf Lastwagen gestoppt, die ein Brandrisiko hätten darstellen können. Die meisten hätten überhitzte Räder oder Bremsen gehabt.
Beleuchtung und Information verbessert
Unfälle verhindern sollen auch viele weitere, kleinere Massnahmen. So hat das Astra die Beleuchtung verbessert, die Durchsagen im Tunnel angepasst und die Markierungen der Fluchtwege klarer markiert. Immer überwacht wird auch die Brandlüftung. Diese ist auf Stand-by – gibt es aber Hinweise, dass sie nicht funktioniert, wird der Tunnel sofort gesperrt.
Der nächste Meilenstein: die zweite Röhre
Die grösste Verbesserung in Sachen Sicherheit verspricht sich der Bund allerdings vor allem vom Bau der zweiten Röhre. Wenn dereinst der neue Gotthardtunnel fertiggestellt und der alte saniert ist, kann der Verkehr einspurig und ohne Gegenverkehr durch die Tunnel geführt werden. Zudem wird durchgehend ein Pannenstreifen zur Verfügung stehen. Bis es so weit ist, braucht es allerdings noch Geduld: Die Arbeiten sollen erst im Jahr 2032 abgeschlossen sein.
Und auch wenn die Gefahr von Frontalkollisionen gebannt sein wird: Die Schadenwehr werde es nach wie vor brauchen, sagt der stellvertretende Kommandant Beat Walther. So könnte es auch dann noch zu Auffahrkollisionen kommen. «Und was wir auch nie ausschliessen können, sind Fahrzeugbrände im Tunnel. Diese Gefahr wird etwa gleich gross bleiben.»