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Deutsch lernen in der Romandie Neuenburg testet Schulfächer auf Deutsch

Während die Deutschschweiz die Abschaffung des Frühfranzösischen diskutiert, haben Primarschülerinnen und -schüler in Neuenburg Mathematik auf Deutsch.

«Auf die Plätze, fertig, los», ruft Monia Ragazzi ihrer sechsten Klasse zu. Die Kinder müssen in Gruppen Bruchzahlen der Grösse nach ordnen. «Was heisst ‹virgule› auf Deutsch?», fragt Amalia, bevor sie das Kärtchen mit der Zahl 2.52 vor die 2.8 legt.

Deutsch ist in dieser Klasse im Neuenburger Collège du Passage zwar von niemandem Muttersprache, aber Alltagssprache. Seit dem Kindergarten haben diese Kinder 20 bis 50 Prozent ihres Unterrichts auf Deutsch.

Auf Deutsch zu neuen Lernstrategien

Lehrerin Ragazzi – auch sie ist keine Muttersprachlerin – unterrichtet Mathematik, Geografie und Geschichte. Alles auf Deutsch. Sie ist überzeugt vom sogenannten Immersionsunterricht: «Die Kinder lernen die Sprache spielerisch und haben einen unverkrampften Zugang zum Deutsch.» Das helfe ihnen später beim Erlernen anderer Fremdsprachen.

In der Fremdsprache geben wir klarere Anweisungen.
Autor: Monia Ragazzi Lehrerin, lehrt Mathematik, Geografie und Geschichte auf Deutsch

Und das helfe auch in Fächern wie Mathematik: «Die Kinder entwickeln Lernstrategien.» Im Vergleich zu Kindern, die nur auf Französisch unterrichtet werden, seien sie geschickter darin, neue Inhalte mit bestehendem Wissen zu verknüpfen.

Frau lächelt vor beschrifteter Tafel.
Legende: Monia Ragazzi ist überzeugt von den Vorteilen des Immersionsunterrichts. SRF/Roman Fillinger

Die Primarlehrerin ist überzeugt, der immersive Unterricht komme auch leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern zugute: «Wir geben klarere Anweisungen in der Fremdsprache und verwenden mehr Bilder und Gesten, um sicherzustellen, dass es jede und jeder verstanden hat.»

Gute Leistungen dank Immersion

Linguisten von der Universität Genf begleiten die Neuenburger Immersionsklassen seit ihrer Einführung vor 14 Jahren. Ihre Studienergebnisse zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler überdurchschnittliche Leistungen bringen.

Wachsender Widerstand gegen Frühfranzösisch

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Während der Kanton Neuenburg sein Immersionsprogramm ausbaut und das Frühdeutsch in der frankophonen Schweiz weitgehend unbestritten ist, gibt es in der Deutschschweiz viel Widerstand gegen das Frühfranzösisch.

In den Kantonen Zürich, St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden wollen bürgerliche Kantonsparlamentarier das Frühfranzösisch abschaffen. Auch in Luzern, Basel-Landschaft und sogar im zweisprachigen Kanton Bern wird der Französischunterricht in der Primarschule infrage gestellt. Auf nationaler Ebene fordert die FDP eine Überprüfung des frühen Fremdsprachenunterrichts.

Zum Vergleich: Alle Westschweizer Kantone führen Deutsch als erste Fremdsprache ein. In den meisten Deutschschweizer Kantonen hingegen lernen die Schulkinder zuerst Englisch.

Jean-Claude Marguet, Vorsteher des Neuenburger Amts für Volksschule, sagt: «In der achten Klasse sind die Kinder, die einen Teil des Unterrichts auf Deutsch haben, im Französisch so gut wie die anderen. Sie sind besser in Mathematik. Und sie haben ein Jahr Vorsprung in Englisch und Deutsch.»

Heute haben gut 3400 Kinder im Kanton Neuenburg immersiven Unterricht, das sind 18 Prozent aller Schulkinder. Marguet würde den Immersionsunterricht am liebsten für alle anbieten. Doch das ist nicht realistisch: «Genügend Lehrpersonen zu finden, die auf Deutsch unterrichten können und das auch wollen, ist eine Herausforderung.»

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Trotzdem: Bis 2038 sollen alle 13 Schulzentren im Kanton Neuenburg auf allen Stufen Klassen führen, die teilweise auf Deutsch unterrichtet werden.

Projekt vor 15 Jahren gestartet

Den Einwand der kantonalen Lehrergewerkschaft, das gehe zu schnell, es gebe dafür nicht genügend motivierte und qualifizierte Lehrpersonen, lässt Marguet nicht gelten. Das Projekt habe man vor 15 Jahren aufgegleist und die Schulen hätten nach wie vor Zeit, sich anzupassen.

Die Sechstklässlerinnen von Monia Ragazzi kämpfen inzwischen mit der deutschen Konjugation: «Wir haben getrinkt. Getrunkt. Nein, getrunken.» Das Radebrechen und Suchen nach der richtigen Form ist hier Alltag.

«Cool», findet Jeanne den Unterricht auf Deutsch – weil man mehr spiele. Livia hingegen sieht das schon mit zwölf sehr pragmatisch: «Fremdsprachenkenntnisse machen es leichter, später eine Arbeit zu finden.»

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Rendez-vous, 24.2.2025, 12:30 Uhr, stal

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