Es ist ein idyllischer Ort: die 1914 eingeweihte Residenz der deutschen Botschaft im Berner Diplomatenviertel mit Prachtsgarten und Zugang zur Aare. Dass Norbert Riedel Bern Ende Monat mit einer gewissen Wehmut verlässt, liegt aber nicht nur an der schönen Wohnlage. «Die Schweiz ist mir ans Herz gewachsen.»
Nah und doch unterschiedlich
Ein Kulturschock war es nicht, als Riedel 2017 in die Schweiz kam. Im auswärtigen Amt in Berlin hatte er sich zwar vor allem mit Asien beschäftigt. Als gebürtiger Schwabe aus Stuttgart kannte er die Schweiz jedoch schon als Kind. Trotzdem stiess er auf grössere Unterschiede zwischen seiner Heimat und dem Nachbarn, als er erwartet hatte. «Wir sind uns wirklich nahe. Geographisch und auch in der Mentalität. Aber wir sind eben auch sehr unterschiedlich.»
Riedel schildert zur Illustration den Besuch einer Literaturpreisverleihung mit Kulturminister Alain Berset. Beeindruckt hat ihn, mit welcher Selbstverständlichkeit die verschiedenen Landesprachen gesprochen wurden. «Wie es die Schweiz schafft, diese Unterschiedlichkeit und Vielfalt unter einen Hut zu bringen, das beeindruckt mich.»
Durchschaut hat Riedel die Schweiz deshalb nicht. «Im Spass sag ich immer: Ich hab mich bemüht, die Schweiz zu verstehen, und je mehr ich verstanden habe, umso weniger habe ich verstanden», sagt er gegenüber SRF.
Wir sind uns wirklich nahe. Geographisch und auch in der Mentalität. Aber wir sind eben auch sehr unterschiedlich.
Schwer zu verstehender Bundesrat
Auch der Bundesrat hat seine Bereitschaft zu verstehen herausgefordert. Dabei denkt er an den Dezember 2018, als die Landesregierung den mit der EU ausgehandelten Entwurf für ein Rahmenabkommen präsentierte. Ohne sich dazu zu bekennen. «Da hatte die Europäische Kommission mit der Schweiz über Jahre verhandelt. Und dann kommt der Bundesrat und sagt, er finde das eigentlich nicht schlecht, aber er haben keine abschliessende Meinung dazu.» In den Hauptstädten der EU habe man Mühe gehabt, das nachzuvollziehen. «Warum hat man die ganzen Jahre verhandelt, und dann plötzlich hat man keine Meinung dazu?»
Seither hat sich bei diesem Thema wenig bewegt. Bis zur Abstimmung über die so genannte Begrenzungsinitiative der SVP am 27. September wird das auch so bleiben. Doch für den Vertreter des bevölkerungsreichsten EU-Staates in der Schweiz ist klar: Nach dem Urnengang müsse der Bundesrat Vorschläge machen, wie man die offenen Punkte beim Rahmenabkommen lösen wolle. Zum Beispiel beim Lohnschutz. «Wir hoffen und erwarten, dass diese Antwort sehr schnell gegeben wird. Wir haben den Eindruck, die Zeit drängt.»
Hilft deutsche EU-Ratspräsidentschaft?
Am 1. Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Ist das im Ringen um ein Rahmenabkommen ein Nachteil für die Schweiz, weil Nachbar Deutschland erst recht der EU-Perspektive verpflichtet ist? «Ganz bestimmt nicht», stellt Norbert Riedel klar. «Wir können uns zwar nicht die Position der Schweiz zu eigen machen. Aber während der EU-Präsidentschaft versuchen wir, in den nächsten sechs Monaten diese Dossiers voranzubringen und da auch zu helfen.» Norbert Riedel wird dann allerdings an einen nächsten Botschafterposten weitergezogen sein.