Die Anspannung muss gross gewesen sein, an jenen Tagen im Oktober 2019. In einem Kommissionszimmer im Bundeshaus treffen sich einige National- und Ständeräte. Sie haben Bundesanwalt Michael Lauber zu einer Anhörung eingeladen. Er wurde wenige Wochen zuvor als Bundesanwalt wiedergewählt und scheint durch die Wiederwahl das Gefühl zu haben, unantastbar zu sein.
Lauber teilt vor den Parlamentariern aus und lästert über die Kompetenz der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft: «Fragen Sie meine Mitarbeiter, welchen Eindruck sie von der Fachkompetenz der Aufsichtsbehörde haben. Es tut mir leid, aber sie ist nicht vorhanden.» Später äusserte sich an gleicher Stelle auch Laubers Stellvertreter Ruedi Montanari wenig schmeichelhaft zur Zusammenarbeit der Bundesanwaltschaft mit der Aufsicht: «Irgendwann war diese Ehe schlicht zerrüttet.»
Was war geschehen? Als Folge der informellen und nicht protokollierten Treffen zwischen Michael Lauber und Fifa-Chef Gianni Infantino hatte die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) eine Disziplinaruntersuchung gegen Lauber eröffnet. Daraufhin entschieden sich die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) des Parlaments, das Verhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und der Aufsicht zu untersuchen.
An jenen Tagen im Oktober 2019 luden sie die Verantwortlichen zu Anhörungen ein. SP-Ständerat Hans Stöckli leitete diese Anhörungen. Er ist noch heute schockiert über die «kraftvolle Wortwahl» und erinnert sich an «denkwürdige Tage», wie er sagt. Die Vertreter der AB-BA äusserten sich weniger markant. Aber die Anhörungen zeigten unmissverständlich, dass das Verhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und der AB-BA zerrüttet war.
Die Parlamentarier waren ratlos und schlugen eine ungewöhnliche Massnahme vor – eine Mediation. Erfolglos.
Der «Gnadenschuss» für Lauber
Danach rutschte der Konflikt fast schon ins Absurde ab. Lauber schlug eine Art Vormund für die Aufsicht vor und dass er und der Leiter der Aufsicht, Hans-Peter Uster, nicht mehr an den gemeinsamen Aufsichtssitzungen teilnehmen sollen. Für kurze Zeit eskalierte der Konflikt vollends.
Die Zusammenarbeit zwischen der Bundesanwaltschaft und der AB-BA war an einem Tiefpunkt angelangt. Das System war am Rande einer kleinen Staatskrise – mit rat- und machtlosen Politikern.
Der GPK-Bericht hat Michael Lauber geschadet.
Wir wissen heute von dieser Eskalation, weil die GPK in ihrem später veröffentlichten Bericht die beteiligten Akteure wörtlich zitiert. So wertvoll dieser Bericht ist, es stellt sich die Frage, ob die GPK damit auch das politische Ziel verfolgte, Lauber zu schaden.
Wer Claude Janiak zuhört, könnte das denken. Der frühere SP-Ständerat sass während Jahren ebenfalls in der GPK und kritisiert, dass die Kommission mit der wörtlichen Wiedergabe der Aussagen die eigene Praxis verletzt habe. Interviewte sollen sich frei vor der GPK äussern können, weshalb sie normalerweise auf wörtliche Zitate verzichte.
«Die Affäre Lauber» – der dreiteilige Podcast
Dieser Bericht aber habe Lauber geschadet, sagt Janiak. Er spricht sogar davon, dass dieser Bericht Lauber den «Gnadenschuss» gegeben habe, weil sich erst mit diesem die Stimmung definitiv gegen Lauber gewendet habe.
Hans Stöckli allerdings wehrt sich gegen den Vorwurf, die GPK habe den Bericht aus politischen Gründen mit all den Zitaten veröffentlicht. Es sei seiner Kommission vor allem auch um Transparenz gegangen.
Das Parlament ist in der Pflicht
Das Verhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und der AB-BA erscheint mit diesem Bericht auf jeden Fall in einem neuen Licht. Im Kern geht es um die Frage, wie weit die AB-BA gehen darf und wie weit die Bundesanwaltschaft Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen muss. Zugespitzt formuliert geht es um die Macht der Bundesanwaltschaft.
Das Problem ist, dass diese Fragen rechtlich nicht restlos geklärt sind. Weshalb das System nicht krisentauglich ist, wie die GPK selber schreibt. Das Parlament wird dies noch tun müssen, wenn es am heutigen System festhält.
Darüber hinaus wird sich das Parlament aber auch fragen müssen, ob das heutige System – mit dem Parlament als Wahlbehörde des Bundesanwaltes, einer unabhängigen Bundesanwaltschaft und einer unabhängigen Aufsicht – das richtige ist, oder ob es einen Systemwechsel braucht.
Die ungewollte Hinterlassenschaft Blochers
Früher wählte der Bundesrat den Bundesanwalt. Als dann aber 2003 Christoph Blocher in den Bundesrat gewählt wurde und das Justizdepartement übernahm, wuchs bei seinen politischen Gegnern die Angst, Blocher könnte die Bundesanwaltschaft beeinflussen wollen.
Deshalb lancierte 2004 ein Ständerat namens Alain Berset eine parlamentarische Initiative, dass das Parlament den Bundesanwalt wählen soll. Berset argumentierte, nur so könne die Bundesanwaltschaft entpolitisiert werden. Heute – nach der Affäre Lauber – dürfte klar sein, dass das nicht funktioniert hat.
Entpolitisierung ging «in die Hosen»
Claude Janiak war damals ein wichtiger Verbündeter von Berset. Doch heute sagt Janiak selbstkritisch, die Entpolitisierung der Bundesanwaltschaft sei «in die Hosen gegangen». Der heutige Chef der SVP-Bundeshaus-Fraktion Thomas Aeschi fordert denn auch, dass wieder der Bundesrat den Bundesanwalt wählen und beaufsichtigen soll.
Auch Beat Oppliger hat Sympathien für diese Idee. Der leitende Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich ist Präsident der Konferenz der kantonalen Staatsanwaltschaften und sagt: «Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass eine gewisse Entspannung möglich wäre, wenn man wieder zurück buchstabiert und den Bundesrat als Wahlgremium einsetzt.»
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die zuständige Gerichtskommission des Parlaments macht bei der Suche nach Laubers Nachfolger keine gute Figur. So sind immer wieder vertrauliche Informationen aus der Kommission via Medien an die Öffentlichkeit gelangt. Das diskreditiert die Kommission und das Wahlverfahren. Auch das spricht dafür, dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier ungeeignet sind für ein solch heikles Wahlgeschäft.
Die Entpolitisierung der Bundesanwaltschaft hat nicht geklappt.
Doch sprechen ebenso gewichtige Gründe auch gegen einen Systemwechsel und damit gegen den Bundesrat als Wahlgremium. Die Furcht etwa, dass dieser die Unabhängigkeit des Bundesanwaltes einschränken könnte.
Weshalb beispielsweise FDP-Ständerat Andrea Caroni betont: «Natürlich hat die Entpolitisierung nicht geklappt. Aber man hat wahrscheinlich den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Zu wissen, wer schlimmer ist, der Teufel oder der Beelzebub, das weiss ich noch nicht. Und ob noch jemand eine engelhafte Lösung dazwischen findet, da habe ich meine Zweifel.»
Caroni spielt eine entscheidende Rolle; er präsidiert die Gerichtskommission und ist damit für die Wahl des nächsten Bundesanwaltes verantwortlich.
Ob das Parlament beim heutigen System bleibt oder sich für einen Systemwechsel entscheidet und die Wahl der Bundesanwaltschaft also wieder dem Bundesrat übergibt, ist schwierig zu sagen. Ein Zurück zum Bundesrat wäre eine grössere politische Übung, was dafür spricht, dass das Parlament am heutigen System mit dem Parlament als Wahlgremium festhält.
Umso dringender aber müssten die rechtlichen Grundlagen präzisiert werden, damit das System Bundesanwaltschaft/Aufsicht nicht wieder zu wanken beginnt, wie vor einem Jahr geschehen.