Ja, wir wollen den Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene verlagern. Diesen Grundsatz bestätigte die Schweizer Stimmbevölkerung mehrmals an der Urne. Aus diesem Grund plant und baut der Bund seit den 1990er-Jahren die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) – mit dem Ziel, dass schwere Güterzüge ohne zusätzliche Lokomotiven durch die Alpen fahren können.
Die unvollendete Neat
Nacheinander gingen der Lötschberg-Basistunnel (2007) und der Gotthard-Basistunnel (2016) auf – und doch blieb das Projekt unvollendet: Denn für die schweren Güterzüge braucht es eine so genannte Flachbahn ohne grosse Steigungen. Aber ohne den Ceneri-Basistunnel blieb auf der Güterverkehrsstrecke Rotterdam-Genua weiterhin eine Bergstrecke, eben jene über den Ceneri zwischen Bellinzona und Lugano.
Freie Fahrt für die Güter
Deshalb ist die Eröffnung des Ceneri-Basistunnels ein wichtiger Schritt für den nationalen und internationalen Güterverkehr: Nun können die schweren Güterzüge die Schweiz zügiger durchqueren, ohne Bergstrecken überwinden zu müssen. – Was die Schweiz mit dem Bau des Gotthard-Basistunnels, des längsten Bahntunnels der Welt, gesät hat, kann sie jetzt ernten, mit der Eröffnung des Ceneri.
Eine Flachbahn von Basel bis Chiasso und ein durchgehender 4-Meter-Korridor für Warencontainer auf Sattelschlepperanhängern – das macht die Schweiz attraktiver für den Warenverkehr und hilft der Verlagerung der Güter auf die Schiene.
Ungenutztes Potenzial
Allerdings sind mit der Eröffnung des Ceneri-Tunnels längst nicht alle Ziele erreicht. Denn wichtig ist auch, was ennet der Grenze geschieht. Und dort gibt es Probleme: Denn insbesondere Deutschland, teilweise aber auch Italien haben die Zufahrten noch nicht genügend ausgebaut, sodass es in den kommenden Jahren im internationalen Güterverkehr zu Engpässen kommen wird. Verkehrsplaner rechnen damit, dass die volle Kapazität erst etwa in 20 Jahren zur Verfügung stehen wird. Damit könnte der gewünschte Verlagerungseffekt teilweise verpuffen.
Auch Passagiere profitieren
Die Neat ist in erster Linie ein Güterverkehrsprojekt – das aber auch Vorteile für die Reisenden hat: So verkürzt sich die Reisezeit von der Deutschschweiz ins Südtessin um rund zehn Minuten und Mailand rückt näher an Basel und Zürich.
Città Ticino
Viel erhofft sich die Politik auch für das Tessin, einen Kanton, der traditionell dezentral organisiert und aufs Auto ausgerichtet ist. Durch den neuen Tunnel entsteht eine Art Tessiner S-Bahn: Beispielsweise von Locarno nach Lugano reist man künftig in der Hälfte der Zeit und ohne umzusteigen. Die Hoffnung ist, dass die Tessinerinnen und Tessiner mit den attraktiveren Verbindungen eher auf den Zug umsteigen.
Lohnende Investition
Rund dreieinhalb Milliarden Franken hat der Ceneri-Basistunnel gekostet. Damit kann heute die letzte Lücke in der Neat-Nord-Süd-Verbindung von Basel nach Chiasso geschlossen werden. Das ist gut für die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Und wenn die Tessiner Bevölkerung den öffentlichen Verkehr entdeckt und der Kanton näher zusammenwächst, dann haben sich die Milliardeninvestitionen umso mehr gelohnt. – Doch sollten die Erwartungen nicht zu hoch gesteckt werden: Denn so manches Grossprojekt hat die Hoffnungen nur teilweise erfüllt.