Picasso, Toulouse-Lautrec, Degas – sie liebten ihn: Im Absinth-Rausch malten sie die schönsten Bilder, schrieben die herrlichsten Texte, wie Christiane Didier vom «Maison de l'Absinth» in Môtier im Val-de-Travers schwärmt.
Absinth sei untrennbar mit Künstlern und Malern der Belle Époque im mondänen Paris verbunden. Dabei liegen die Wurzeln des Absinths in der Schweiz.
Das erste Absinth-Destillat entstand in einer kleinen Brennerei in Couvet im Val-de-Travers. Das Rezept soll Marguerite Henriette Henriod gehört haben, einer alten Dame, die sich mit Heilkräutern auskannte. Ihr Absinth-Elixier, aus bitterem Wermutkraut und weiteren Kräuter gewonnen, half gegen Magen- und Bauchschmerzen.
1797 verkaufte Marguerite Henriette Henriod ihr Geheimnis an einen Geschäftsmann. Der gründete mit seinem Schwiegersohn Henri-Louis Pernod eine grössere Absinth-Brennerei. Bald expandierten sie unter dem Namen «Pernod et Fils» ins nahe Pontarlier nach Frankreich.
Erstmals sei professionelles Marketing gemacht worden, sagt Gabriele Didier, die durch die Ausstellung des Museums führt. Die grüne Fee, wie Absinth wegen der grün schimmernden Farbe und der berauschenden Wirkung auch genannt wird, eroberte die Welt.
Verantwortlich für den kometenhaften Aufstieg von Absinth waren neben der Werbung auch französische Soldaten. Sie bekamen in den 1830er-Jahren auf ihren Feldzügen nach Algerien jeweils eine Ration Absinth mit. Der Schnaps sollte Magen und Seele trösten. Sie brachten den Schnaps nach Paris.
Mythen und Märchen
Ab 1860 war Absinth aus den Bars und Restaurants der mondänen Hauptstadt nicht mehr wegzudenken. Es galt als chic, zur «heure verte», zur grünen Stunde abends ab 17 Uhr, mit einer grünen Fee im Bistro zu sitzen. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert nippten sogar 90 Prozent der Franzosen und zum Ärger der Sittenwächter auch viele Französinnen an ihrem Absinthglas.
Die grüne Fee wurde zum Modegetränk. Sie wirkte berauschend und euphorisierend, es wurden ihr halluzinogene Erlebnisse nachgesagt. Van Gogh soll sich im Absinthrausch ein Ohr abgeschnitten haben. Es hiess, der Kräuterschnaps mache blind, gewalttätig, löse epileptische Anfälle aus. Die Schuld gab man dem Wirkstoff Thujon, der im Wermutkraut enthalten ist.
Christiane Didier bestätigt: «Es handelt sich dabei um ein Nervengift, aber man hätte literweise Absinth trinken müssen, um gefährdet zu sein.» Gesundheitsschädigend war vor allem der enorme Alkoholgehalt von bis zu 90 Prozent.
Ein Dreifachmord brachte das Verbot auf den Weg
Absinth war billig, damit stieg der Alkoholismus. Auch in der Westschweiz. Die Medizin kreierte den Begriff «Absinthismus». Bald wurde Absinth für alles Übel der Gesellschaft verantwortlich gemacht.
Das Fass zum Überlaufen brachte ein Mord in der Waadt. 1905 erschoss ein französischer Arbeiter bei Nyon seine schwangere Frau und seine beiden kleinen Töchter. Er war Alkoholiker, trank vor allem Wein, aber eben auch immer mal wieder Absinth. Munition für die Gegner.
Waadt und Genf beschlossen kantonale Absinth-Verbote. Es wurde eine eidgenössische Volksinitiative für ein Verbot in der ganzen Schweiz lanciert. Bei der Abstimmung am 5. Juli 1908 nahmen 63.5 Prozent der Männer das Absinth-Verbot an, gegen den Willen des Bundesrats und der Eidgenössischen Alkoholverwaltung.
Da seien sehr unterschiedliche Interessen zusammengekommen, ordnet der Neuenburger Historiker Pierre-André Delachaux das Ergebnis ein. Der 75-Jährige befasst sich seit Jahrzehnten mit Absinth: «Wein-Fabrikanten, Bierbrauer, Frauen, Christen, Sozialisten, Abstinenzler, alle waren gegen Absinth. Sie einte ihr Kampf gegen die Spirituose.»
Am 7. Oktober 1910 um Mitternacht trat das aussergewöhnliche Verbot in Kraft. 95 Jahre sollte es in der Bundesverfassung verankert bleiben. Dem Schweizer Absinth-Verbot folgten mehrere Länder, 1915 auch Frankreich.
Der Mythos des Verbotenen wächst
Im Val-de-Travers sank die Stimmung auf den Nullpunkt. Das Verbot war einschneidend, viele verloren ihre Existenzgrundlage. Auf einen Schlag gingen 300 Arbeitsplätze verloren. Alternative Wirtschaftszweige waren aufgegeben worden, etwa die Uhrmacherkunst oder die Produktion von Spitze.
Beinahe alles hing am Absinth. Viele im Neuenburger Jura fühlten sich missverstanden. Die Verwandlung der grünen Fee in eine Hexe empfanden sie als Heuchelei.
Ihren Absinth brannten sie weiter. Heimlich. «Sie sahen sich als ritterliche Verteidiger für eine gute Sache», sagt Pierre-André Delachaux, der auch Bücher über Absinth geschrieben hat. Man habe schon damals gewusst, dass Absinth nur in sehr hohen Dosen schädlich sei. Offiziell wurde im Val-de-Travers Trübsal geblasen, im Untergrund begann die Schattenproduktion.
Hinter verklebten Fenstern, in Kellern, Hinterzimmern, hinter Schränken mit doppelten Wänden entstanden versteckte Brennereien. Jedes Jahr wurden schätzungsweise 10'000 Liter Schnaps illegal gebrannt und in der ganzen Schweiz und auch ins Ausland verkauft.
Dabei war es für Auswärtige gar nicht so einfach, Destillateure und Schwarzbrennereien zu finden. «Man musste sich durchfragen, Zeit und einen Kontakt haben», sagt Pierre-André Delachaux. Die Angst, ertappt und angezeigt zu werden, war real.
Gleichzeitig machten die Ordnungshüter beim Versteckspiel mit: «Einheimische Richter, Polizisten, Politiker, Zöllner – alle haben immer wieder ein Gläschen Absinth getrunken», sagt der ehemalige Neuenburger SP-Kantonsrat Delachaux.
Ab und zu sei Besuch aus Bern gekommen, es habe Razzien gegeben. Leute wurden verurteilt, ihre Brennutensilien vernichtet, der Schnaps ausgeleert. Das Val-de-Travers spielte ein wenig Katz und Maus mit den Beamten.
Zurück in die Legalität
Mit der Zeit wurde immer mehr geduldet, die Grenzen zwischen legal und illegal verwischten. Das Absinth-Verbot fiel langsam aus der Zeit. Anfang des 21. Jahrhunderts gab es im Val-de-Travers etwa 60 bis 80 Destillerien, die illegal Absinth brannten. Viele fragten sich: Wieso ist die Produktion eigentlich nicht legal?
Mit der Legalisierung ist der Reiz des Verborgenen verloren gegangen.
Bei der Revision der Bundesverfassung 1999 wurde das Absinth-Verbot zur Diskussion gestellt, ein alter Zopf sollte abgeschnitten werden. Das Schweizer Stimmvolk war einverstanden.
Aber auf Gesetzesstufe blieb das Absinth-Verbot noch einige Jahre bestehen, bis ein Vorstoss durchs Parlament kam. Am 1. März 2005 wurde die grüne Fee schliesslich aus der Illegalität befreit. Das Bittergetränk durfte wieder legal produziert und vertrieben werden.
Das Ende des Versteckens. Die grüne Fee legalisiert. Andere Länder folgten. Absinth ist in der Schweiz seit 16 Jahren legal. Es gibt viele Destillerien im Val-de-Travers, dutzende Sorten werden gebrannt. Die Region macht Werbung mit Absinth. Aber der Reiz des Verborgenen und Verbotenen ist verloren. Den vermissen heute viele im Val-de-Travers.
Auch Pierre-André Delachaux hält die Aufhebung des Verbots für einen Fehler. Er setzte sich Jahrzehnte lang für die Rehabilitierung der grünen Fee, nicht aber für ihre Legalisierung ein.
Absinth habe das Geheimnis verloren, sagt er wehmütig. Dabei sei es eine so schöne Geschichte gewesen mit dem Getränk unter der Ladentheke, und lächelnd ergänzt er: «Leute kamen ins Val-de-Travers, fragten mit ganz leiser Stimme, haben sie Absinth? Und sie bekamen zur Antwort, nein, sie müssen ihn selbst finden.»